Christopher von Deylen, Kopf der Band Schiller, verbringt knapp vier Wochen auf dem Forschungsschiff “Polarstern“, bedient einen Tauchroboter und hofft, für seine Musik inspiriert zu werden.

Hamburg. Kultur trifft Wissenschaft: Der Popmusiker Christopher von Deylen alias Schiller ("Sehnsucht") fährt mit dem Forschungsschiff "Polarstern" des Alfred-Wegener-Instituts auf Expedition in die Arktis-Region. Der Künstler, der Millionen von Platten verkauft, will nicht nur seinen Horizont erweitern, sondern auch ganz mit dem Tauchroboter einen Schlammvulkan untersuchen. Frühmorgens am 10. Juli wird von Deylen mit einem Schlauchboot in Spitzbergen zum Schiff gebracht, am 3. August endet die Reise im isländischen Reykjavik. Mit an Bord nimmt er einen Espressokocher, Musik auf einem platzsparenden MP3-Player - und Krimis. Obwohl die Reise an sich schon spannend genug ist.

Abendblatt:

Bei Ihrem letzten großen Abenteuer, das Sie zu Ihrem Album "Sehnsucht" inspiriert hat, sind Sie mit einem alten Volvo quer durch Indien nach Kalkutta gefahren. Auf eine Expedition in die Arktis-Region zu gehen ist aber noch mal eine ganz andere Herausforderung. Woher kommt diese Abenteuerlust?

Christopher von Deylen

Ich finde, das Leben ist zu kurz dafür, sich in der ersten Hälfte nur damit zu beschäftigen, sein Spielfeld abzustecken, um sich dann in der zweiten Hälfte darum zu kümmern, dieses Terrain nicht mehr zu verlassen.

Abendblatt:

Haben Sie denn kein mulmiges Gefühl im Bauch, einen Tauchroboter auf bis zu 4000 Meter Tiefe zu steuern?

Von Deylen:

Der Tauchroboter ist zwar unbemannt und wird von Deck gesteuert, aber das Gefühl ist ähnlich wie unter Wasser. Der Steuerungscontainer auf dem Schiff ist voller Bildschirme und der Roboter voller Kameras. Die Luft im Container ist zum Schneiden. Das ist schon ein wenig klaustrophobisch. Aber ich habe im Institut Marum in Bremen mit einem Team von Spezialisten eigens dafür trainiert.

Abendblatt:

Das Gerät ist mehr als eine Million Euro wert. Angst, was kaputt zu machen?

Von Deylen:

Ja. Das ist nicht wie Playstation-Spielen. "Game Over" und dann geht's von vorne los, funktioniert nicht.

Abendblatt:

Als Musiker mit eigenem Studio kennen Sie den Umgang mit viel Technik. Hat das geholfen, um den Roboter bedienen zu lernen?

Von Deylen:

Ja, denn in beiden Fällen geht es darum, sich die Technik zum Freund zu machen. Die Expedition ist vom Grundgefühl so, wie auf Tour zu gehen. Wir fahren durch die Gegend mit einem Tross von Leuten, bauen den ganzen Tag auf, um für 90 Minuten eine Show zu machen, ziehen dann weiter. Ähnlich ist das auf dem Schiff. Wir müssen erst mal an die Stellen fahren, wo geforscht wird - und dann muss alles ganz schnell gehen.

Abendblatt:

Mit dem Unterschied, dass Sie in der Arktis keine Musiker und Roadies um sich haben, sondern Wissenschaftler. Befürchten Sie, als Kulturmensch ein Fremdkörper an Bord zu sein?

Von Deylen:

Die Reise ist für mich unter anderem ein soziales Experiment. Über die Jahre habe ich mir ein Umfeld geschaffen, in dem ich mich als Künstler frei entfalten kann. Und auf einmal bin ich da auf einem Schiff, auf dem inklusive Crew und Besatzung 70 Menschen sind, die ich nicht kenne und für die Musik ein Thema unter vielen ist. Aber Angst habe ich weniger. Denn was uns verbindet, ist am Ende die Suche nach etwas. Wenn der Forscher findet, was er gehofft hat, ist das prima.

Abendblatt:

Schwingt da der humboldtsche Gedanke mit, in einer Art Universalstudium Grenzen zu überschreiten?

Von Deylen:

Ich glaube nicht, dass ich durch die Reise zum Hobbywissenschaftler werde. Aber es gibt dieses etwas technische Wort "interdisziplinär". Die Forschungsmaterie an sich mag ja trocken sein, aber für mich sind Wissenschaftler Menschen, die eine Leidenschaft haben, die links und rechts des Weges gucken. Das ist eine Philosophie, mit der ich mich verbunden fühle.

Abendblatt:

Wie kam es eigentlich zu dem Projekt?

Von Deylen:

Ein befreundeter Journalist ist vor Jahren auf dem Forschungsschiff "Meteor" mitgefahren und sagte hinterher: ,Das musst du unbedingt auch machen.' Da ich gute freundschaftliche Verbindungen zu dem Institut Marum der Universität Bremen habe, ist die Idee entstanden, Wissenschaft und Kultur gemeinsam ins Eis zu schicken, um zu gucken, was an gegenseitiger Inspiration entstehen kann. Das hat etwas Betörendes und setzt Energien frei.

Abendblatt:

Werden Sie an Bord Musik machen können?

Von Deylen:

Ich habe keinen blassen Schimmer, ob mir vor Ort etwas einfällt. Vorsorglich habe ich mal ein Ministudio dorthin verschifft. Aber wenn ich nach Hause komme und habe kein halbes Album fertig, dann ist das deswegen keine misslungene Reise. Der Gedanke liegt jedoch nahe, dass dort etwas passiert mit mir. Weil das Schiff ein schwimmender Mikrokosmos ist. Man ist komplett entkoppelt von der Alltagswelt. Dagegen war die Autofahrt nach Kalkutta ja schon fast ein Ausflug.

Abendblatt:

Was müssen Sie alles einpacken?

Von Deylen:

Ich habe mir Arbeitskleidung besorgt. Eine Kluft wie auf einer Bohrinsel - mit Sicherheitsschuhen. Darauf freue ich mich schon sehr. Denn die "Polarstern" ist ja kein Kreuzfahrtschiff, wo man sagt: Captain's Dinner und einmal das Büfett, bitte! Das wäre langweilig. Dann könnte ich auch zu Hause bleiben.

Christopher von Deylens Tagebuch der Reise steht unter www.abendblatt.de/schiller