Vordergründig geht es um einen schwulen Mode-Reporter - wirklich um ein mediales Gesamtkunstwerk.

Hamburg. Man kann die Geschichte so erzählen: Der schwule Mode-Reporter Brüno verliert seinen Job, weil er bei der Mailänder Modewoche die Show eines spanischen Designers sabotiert. Er flieht nach Los Angeles, beschließt, ein Star zu werden ("der berühmteste Österreicher seit Hitler") und das Schwulsein hinter sich zu lassen. Am Ende ist er zwar weder berühmt geworden noch heterosexuell, zeigt aber eine heiße Liebesnummer mit seinem Assistenten vor Hunderten (angeekelten) Zuschauern. Will das irgendjemand sehen? Eben.

Dafür muss man die Geschichte wohl so erzählen: Brüno ist ein auf Provokation zielendes, sich selbst nahezu perfekt vermarktendes Gesamtkunstwerk. Ein Gesamtkunstwerk im Leopardenhöschen. Hinter ihm steckt der britische Verwandlungsprofi Sasha Baron Cohen, der selbst die Öffentlichkeit scheut, seine Figuren allerdings zu wirkmächtigen Medienprodukten unserer Zeit gemacht hat. Das US-Nachrichtenmagazins "Time" wählte ihn 2007 zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Zum Figurenkosmos des Sasha Baron Cohen zählen etwa Ali G, ein Hip-Hop-Reporter in Ballonseide, der Prominente mit naiv-dreisten Fragen in den Wahnsinn treibt. Oder der minderbemittelte kasachische Journalist Borat, der eine sexistische oder rassistische Beleidigung nach der anderen absondert. Rund 260 Millionen Dollar spielte "Borat" an den Kinokassen ein, ähnlichen Erfolg erhofft man sich nun von seinem ganzkörperrasierten Nachfolger.

Nichts wird hierbei dem Zufall überlassen, die Aktionen im Vorfeld des Filmstarts sind bis ins Kleinste durchorchestriert. Das PR-Talent Cohen ließ sich während der aufwendigen Promotiontour für "Brüno" nur als solcher interviewen - wenn er das Interview nicht in letzter Minute absagte. Er posierte vor dem Brandenburger Tor, auf dem Londoner Leicester Square und an den Amsterdamer Grachten, wahlweise in Leder-Hotpants, Stierkostüm oder rosafarbenem Plüschanzug mit Wollpenis. Bei den MTV Music Awards landete er mit einem einstudierten Po-Stunt auf dem Kopf von Rapper Eminem. Die Medien spielen mit und berichten fleißig - auch wenn sämtliche Journalisten eine Vereinbarung unterzeichnen mussten, bis zwei Tage vor Filmstart nicht über den Inhalt zu schreiben - für Berichte über die Inszenierungscoups galt das selbstredend nicht.

Der cohensche Erfolgszug setzt also weit vor Kinostart ein, längst haben sich "Borat"- oder "Brüno"-Fangemeinden gebildet, wenn das fertige Werk zu sehen ist. Noch einmal: Will man das sehen - oder besser gefragt: Fällt man auf den kalkulierten Hype herein, wenn man sich den Film ansieht? Tut man. Macht aber nichts, der Effekt bleibt der gleiche. Auch in den 82 Filmminuten lässt sich nicht mehr unterscheiden zwischen dem, was Teil des Films ist, und dem, was Produzent und Verleih positioniert haben. Zwischen dem, was im Drehbuch steht (also Fake ist) und dem Unerwarteten. Dieses (mal aufschlussreiche, mal ins Leere laufende) Aufeinandertreffen von Rollenspiel und Wirklichkeit ist hierzulande noch niemandem so recht gelungen. Das Rapperduo Erkan und Stefan hat sich an dem Prinzip versucht, die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" fühlte sich bei Cohens Auftritten an die frühen Aktionen von Günter Wallraff erinnert. Cohen allein auf weiter Flur - zum Glück, mögen manche denken.

Gut funktioniert die vermeintliche Reality-Manier immer dann, wenn sie hübsch-böse Wahrheiten über den Zustand unserer Welt zutage fördert: über Adoptionssucht, Kleinkind-Casting, den Celebritykult. Brüno entlarvt Wichtigtuer als Wichtigtuer, vergilt Vorurteil mit Vorurteil und reagiert vulgär auf Vulgaritäten. Noch wichtiger aber ist der einkalkulierte Eklat. Was dem Film nicht gelingt, richtet das Drumherum.

Die Bildergalerie zu "Brüno" unter: www.abendblatt.de/brueno