Hamburg. Mit dem Namen Reemtsma wurde in Hamburg immer eine Zigarettenfirma verbunden - bis 1984. Da verkaufte Jan Philipp Reemtsma seine Unternehmensanteile und verwirklichte einen Traum: Er gründete das Hamburger Institut für Sozialforschung als unabhängige Stiftung. Dass es in der Umgangssprache oft Reemtsma-Institut genannt wird, gefällt ihm nicht besonders. Andererseits: Während die Uni heute von Personal- und Organisationsquerelen geschüttelt wird, nimmt sich das "HIS" wie ein Hort akademischen Friedens aus. Allein das ist zur 25-Jahr-Feier ein schöner Erfolg.

Es solle "einen Ort für das geben, was anderswo nicht gemacht werden konnte", so hat Reemtsma seine Idee beschrieben. Die am HIS forschenden Gesellschafts- und Sozialwissenschaftler/innen konzentrieren sich auf die Arbeitsbereiche "Theorie und Geschichte der Gewalt", "Gesellschaft der Bundesrepublik" und "Nation und Gesellschaft". Das lässt Raum, kritische Fragen zu verfolgen, die im normalen akademischen Betrieb zu kurz kommen, etwa sexuelle Gewalt in Kriegen oder "Menschenökonomie und Humankapital".

Fünf Jahre vor der Jahrtausendwende wollte das Institut mit dem "Projekt 1995" einen Rückblick auf Wesenszüge des 20. Jahrhunderts werfen - und geriet mit einem Knall in die öffentliche Wahrnehmung: Die Ausstellung über Verbrechen der deutschen Wehrmacht 1941-1944 beschäftigte die Medien über Wochen. Expertenvorwürfe zur falschen Zuordnung einiger der Fotos handhabte Reemtsma souverän: Er bat eine unabhängige Kommission um Prüfung und ließ eine zweite Ausstellung aufbauen. Beide wurden von mehr als einer Million Menschen gesehen und erweiterten den Rückblick auf das NS-Regime maßgeblich - ein großer Erfolg.

Themen wie Gewalt oder Umbau des Sozialstaats begleiten die Bundesrepublik wie Grundgeräusche, die immer wieder von intellektuellen Großraumdeutern erklärt werden müssen. Hier ist das Institut eine ergiebige Quelle für alle, die sich mit deutscher Protestgeschichte befassen - vom antifaschistischen Widerstand über die 68er-Bewegung bis hin zur RAF. Unter anderem verfügt das Institutsarchiv neben einer "Protest-Chronik" über die größte Dokumentensammlung zum bundesdeutschen Terrorismus außerhalb des Bundeskriminalamtes.

Zum Jubiläum veranstaltet das HIS heute und morgen die Tagung "Im Blick der Nachbarn: Die Bundesrepublik nach 60 Jahren". Jan Philipp Reemtsma wünscht sich für die Zukunft vor allem eins: "Dass das Überraschungsmoment erhalten bleibt."