“Bald fand ich, dass die meisten Dirigenten eher zu viel als zu wenig machten.“ An diese Erkenntnis hat sich Hans Schmidt-Isserstedt zeitlebens gehalten.

Hamburg. - Und genau damit hat er ein Kapitel Hamburger Musikgeschichte begonnen und geprägt. Denn am 10. Juni 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, bekam Schmidt-Isserstedt eine Chance, wie man sie höchstens einmal erlebt.

Die britischen Besatzungstruppen baten ihn, ein Rundfunkorchester zusammenzustellen. Nur vom Besten sollte es sein, nahm sich der Dirigent vor und hielt sich daran. Aus den in Gefangenenlagern zusammengeklaubten Musikern, die mitunter in Scheunen und auf erbarmungswürdigen Instrumenten vorspielten, um wieder Halt und Sinn in ihr Leben und das ihrer Zuhörer zu bringen, wurde das spätere NDR-Sinfonieorchester. Ein wie Phönix aus der Asche des Zweiten Weltkriegs entstandener Klangkörper, dem sein erster Chef zu künstlerischen Höhenflügen verhalf.

Bis zu seinem Tod am 28. Mai 1973 war Schmidt-Isserstedt eine Instanz weit über die Grenzen des Hamburger Musiklebens hinaus. Er formte in mehr als 25 öffentlich-rechtlichen Dienstjahren nicht nur ein Orchester, er erzog eine Publikumsgeneration. Öffnete ihnen die Ohren, ließ sie in den Jahren der Nachkriegskonsolidierung entdecken, dass die Moderne aufregend anders war als das Gedröhne, mit dem die Nazis in den nicht ganz 1000 Jahren zuvor Staat machen wollten. Dass diese Auseinandersetzung lohnte, weil sie den Horizont erweitert.

Die NDR-Musiker waren und blieben bei dieser Aufklärungsarbeit sein "Wunschtraumorchester". Ein Spielbein hatte er aber bei seinen Gastauftritten in der Staatsoper seines Freundes Rolf Liebermann. Damals ging so was. Man darf gespannt sein, was passiert, wenn mit Thomas Hengelbrock 2011 ein anerkannter Opern-Dirigent neuer NDR-Chefdirigent wird.

Gerecht ist es nicht, dass Schmidt-Isserstedts funkelnde, kapellmeisterliche Genauigkeit mittlerweile verblasst ist, von egozentrischeren Pultstars späterer Generationen in den Schatten gestellt. Eine kleine, lesenswerte Hommage an den "Doc" ist die Biografie, die der ehemalige NDR-Redakteur Hubert Rübsaat nun in der von der "Zeit"-Stiftung geförderten Buchreihe "Hamburger Köpfe" vorlegt. Aufregend Neues hat sie nicht zu bieten. Das muss aber auch nicht sein. Die Qualitätsarbeit dieses preußisch-amüsanten Maestros spricht für sich, erst recht, wenn man sich auf der Bonus-CD die Konzert-Kostproben vor Ohren führt. Da ist nichts verstaubt, betagt oder überholt.

Hubert Rübsaat: Hans Schmidt-Isserstedt. Ellert & Richter, 160 Seiten + CD, 19,95 Euro