Seit Ende der 70er-Jahre wurde ihre Haltung zur DDR immer kritischer, 1988 ging sie in den Westen. Jeanette Stickler sprach mit der Schriftstellerin.

Hamburg. Die Schriftstellerin stammt aus einer Ost-Berliner Funktionärsfamilie. Nach ihrem Stiefvater, dem Industrieminister Karl Maron, war in Ost-Berlin sogar eine Straße benannt. Zunächst war sie als Fräserin tätig, um danach Theaterwissenschaften zu studieren. Später arbeitete sie als Reporterin für die "Wochenpost" und ab 1976 als freie Autorin.

Abendblatt: Frau Maron, mit Bitterfeld und Ihrem Roman "Flugasche" haben Sie 1981 Ihre literarische Karriere begonnen. Mit dem "Bitterfelder Bogen" kehren Sie nicht nur zu diesem Ort zurück, sondern auch zu Ihrem ehemaligen Beruf der Reporterin. Wie kam es dazu?

Monika Maron: Ein Freund von mir ist Architekt und hat die meisten Solarfabriken in Thalheim bei Bitterfeld gebaut. Er hat mir immer mal wieder von Q-Cells und dem Solar Valley, das da entstand, erzählt. Weil er glaubte, ich müsse mich dafür interessieren, weil ich doch mal diesen Roman geschrieben habe. Es hat eine Weile gedauert, ehe er mich mit seiner Begeisterung anstecken konnte, aber dann eben doch.

Abendblatt: Die Worte der Politiker haben wir alle noch im Ohr: Willy Brandt forderte, dass zusammenwachsen müsse, was zusammengehöre, Helmut Kohl versprach blühende Landschaften. Wie sieht es heute aus?

Maron: Wer weiß, wie es in Bitterfeld und Umgebung vorher ausgesehen hat, der kann über das viel verhöhnte Wort von Kohl nicht lachen. Es sind blühende Landschaften.

Abendblatt: Seit nunmehr zwanzig Jahren hören wir hauptsächlich Klagen der Ostbevölkerung über das Elend der Einheit - sind Sie mit Ihrem Buch auf der Suche nach dem Positiven?

Maron: Ich habe geschrieben, was ich gefunden habe. Aber, das gebe ich zu, ich war nicht auf der Suche nach dem Elend. Wir wissen ja mehr über die Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfänger als über das, was gelungen ist. Ich wollte erzählen, was noch nicht alle wissen.

Abendblatt: Sie selbst sind im Jahr 1988 aus der DDR nach Hamburg übergesiedelt, heute leben Sie wieder im Westen von Berlin. Fühlen Sie sich inzwischen dem Osten Deutschlands entfremdet?

Maron: Einem Teil des Ostens habe ich mich immer entfremdet gefühlt. Sonst hätte ich ja nicht weggehen müssen.

Abendblatt: Ist die viel zitierte ostdeutsche gesellschaftliche Depression eine andere als die im Westen?

Maron: Das weiß ich nicht. Wenn der Westen hinter sich hätte, was der Osten hinter sich hat, wäre seine Depression sicher ähnlich.

Abendblatt: Ihr Buch "Bitterfelder Bogen" ist eine Art ökonomisches Soziogramm einer Region. Lässt es sich auf andere Wirtschaftsbereiche und andere Regionen übertragen?

Maron: Ich verstehe zu wenig von der Wirtschaft, um den wirtschaftlichen Aspektder Frage zu beantworten. Aber das Glück der gemeinsamen Arbeit am Richtigen, das alle in den Gründerjahren von Q-Cells empfunden haben, und das mit dem schnellen Wachstum, vor allem mit dem Börsengang langsam schwand, das ist ein Konflikt, der wohl allen Konzernen innewohnt.

Abendblatt: Sie kritisieren darin auch Günter Grass in seiner Einschätzung, dass bei der Wiedervereinigung eigentlich nur Fehler gemacht worden seien. Hat er Ihnen geantwortet?

Maron: Nein.

Abendblatt: Die Ehrungen häufen sich: Derzeit sind Sie Stadtschreiberin von Mainz, dieser Tage haben Sie, zusammen mit Erich Loest und Uwe Tellkamp, den Preis der Deutschen Nationalstiftung erhalten. In Ihrer Dankesrede fordern Sie dazu auf, den Begriff "DDR-Literatur" nicht weiter zu verwenden. Hatte der je einen Sinn? Wird er denn noch benutzt?

Maron: Solange es die DDR gab, hatte er so viel Sinn wie Schweizer oder österreichische Literatur. Inzwischen haben wir wieder eine gemeinsame Geschichte, zu der nun auch die vierzig Jahre DDR gehören. Aber die DDR-Literatur bleibt eine gesonderte Kategorie. Neulich stand gerade in einer Zeitung: Was bleibt von der DDR-Literatur? Und nicht: Was bleibt von der deutschen Literatur?

Abendblatt: Können Sie sich vorstellen, auch literarisch noch einmal nach Bitterfeld zurückzukehren und aus den Menschen, die Sie bei Ihren Recherchen getroffen haben, Romanfiguren zu machen?

Maron: Nein. Ich habe ja auch in "Flugasche" nicht über die Chemiearbeiter geschrieben, sondern über eine Journalistin und deren Konflikte beim Schreiben der Wahrheit.

Abendblatt: Richtet sich Ihr "Bitterfelder Bogen" an ein anderes Publikum als Ihre Romane? Gibt es einen idealen Leser für Ihr neues Buch?

Maron: Der ideale Leser ist immer der, der sich für das Buch interessiert. Eigentlich müssten sich gerade jetzt, in der Wirtschaftskrise und in der permanenten Energiekrise, alle dafür interessieren.