Ihr Wert entspricht etwa einer dreiviertel Milliarde Euro. Sie lagern hinter dicken Tresorwänden bei 18 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit. Berührt werden dürfen sie nur mit Baumwoll-Handschuhen an den Fingern - am liebsten aber gar nicht.

Heidelberg. Höchstens 80 bis 100 hochkarätigen Wissenschaftlern gewährt die Heidelberger Universitätsbibliothek bislang jährlich das Blättern in den Büchern der Bibliotheca Palatina.

Doch nun bekommt sie jeder zu sehen. Ein kleiner Mausklick nur - und eine der wertvollsten Sammlungen deutschsprachiger Handschriften aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit präsentiert sich auf dem Computerbildschirm am heimischen Schreibtisch. Egal ob in New York, Tokio oder Berlin - die Sammlung ist komplett online. Innerhalb von drei Jahren wurden etwa 270 000 Seiten und rund 7000 Miniaturen digitalisiert. Die 848 Schriften stellen die weltweit einzige geschlossene fürstliche Sammlung dar, die in den vergangenen 400 Jahren nicht verändert wurde, berichtet Bibliotheksdirektor Veit Probst. Die Handschriften reichen bis 1386 zurück, dem Gründungsjahr der Heidelberger Universität. Zu den absoluten Schätzen zählen die "Große Heidelberger Liederhandschrift" (Codex Manesse) - allein dieses Buch hat einen Wert von etwa 50 Millionen Euro.

Die Handschriften sind nach Signaturen geordnet, innerhalb jedes Buches kann eine beliebige Seite direkt angesteuert werden. Bei der Vorschau-Funktion bietet sich die Handschrift in einer Form, wie sie in der Realität nie zu sehen wäre: Auf einen Blick sind sämtliche Seiten und Zeichnungen zu sehen. Interessieren einen die Zeichnungen besonders, sind differenzierte Auskünfte durch eine Vernetzung mit der Heidelberger Bilddatenbank HeiICON möglich. Wer will, kann die Bücher auch als PDF-Dateien runterladen - und so unabhängig vom Internet arbeiten."Wir haben uns bewusst für diese Vielfalt des freien Zugangs entschieden - auch wenn er Risiken birgt", sagt Probst mit Blick auf Urheberrechte. Mit dem Projekt solle die Hochschule als Exzellenz-Uni sichtbar und der Begriff "mit Leben gefüllt" werden.

Nicht jeder Experte ist von der Digitalisierung überzeugt - allein schon wegen der Strapazen, die das für die wertvollen Bücher beispielsweise beim Scannen mit sich bringt. Die Heidelberger setzen jedoch auf eine aus ihrer Sicht recht schonende Variante: einen speziell entwickelten Buchtisch "Grazer Modell". In Heidelberg stehen gleich zwei davon. Das verdankt die Hochschule ihrem Mäzen Manfred Lautenschläger. Der Gründer des Finanzdienstleisters MLP hat die Digitalisierung der Bibliotheca Palatina mit 280 000 Euro wesentlich beschleunigt.

Grundstein bildete ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, bei dem die Heidelberger als Erste in Deutschland Handschriften digitalisierten. Nachdem 27 Handschriften aus der Bibliotheca Palatina im Netz verfügbar waren, wollte die Uni mehr. Mit den vorhandenen Mitteln ging das dem Mäzen zu langsam. Mit seiner Unterstützung war das Projekt innerhalb von drei Jahren beendet.

In der kommenden Woche wird es feierlich vorgestellt. Laut Universität gab es bereits während der Digitalisierung monatlich etwa 8500 Zugriffe von Forschern aus aller Welt. Begeistert sind die Heidelberger auch von einer mit einem Preis ausgezeichneten Magisterarbeit, die sich ausschließlich den Handschriften aus Heidelberg widmet. Die ganze Arbeit ist entstanden, ohne dass die Autorin auch nur ein Einziges der Bücher anfordern musste.

Internet: http://palatina-digital.uni-hd.de