Wenn ab heute in Scheeßel gerockt wird, profitieren die Bands, ihre Plattenlabels - und die Sanitärfirmen.

Scheeßel. Wer sich das erste Mal auf einem Pop-Festival den Weg durch tobende Massen, Zeltstädte und schnarchende Bierleichen bahnt, der wird kaum glauben, dass Geld nicht stinkt und dass man hier nicht auf einer Sicker-, sondern auf einer Goldgrube steht.

Beinahe proportional zum sinkenden Absatz an Tonträgern ist die Zahl der bundesweiten Pop-Festivals jeder Größenordnung in den vergangenen zehn Jahren um mehr als die Hälfte auf jährlich knapp 150 gestiegen, vom niedlichen "Teichrock" in Bad Salzdetfurth (2000 Besucher, drei Bands) bis zum heute beginnenden Hurricane Festival in Scheeßel (60 000 Besucher, 70 Bands). Eine CD für 13 Euro mag mancher illegal kopieren, ein mehrtägiges Rock-Abenteuer für 100 Euro und mehr aber lässt das Geld auch in Zeiten der Wirtschaftskrise - noch - locker sitzen.

"Rock am Ring" und "Rock im Park" waren Anfang Juni mit bis zu 80 000 abgesetzten Tickets ebenso ausverkauft wie das kommende Wacken Open Air im Juli bei Itzehoe. 75 000 Wacken-Metalfans schlucken dann von 109 auf 130 Euro gestiegene Ticketpreise ebenso freudig wie ihre Biervorräte.

"Das Gemeinschaftsgefühl, neue Leute, ein entspanntes Wochenende ohne großartige Regeln, all das sind Gründe, warum Festivals angesagt sind", sagt Folkert Koopmans, der mit seiner Konzertagentur FKP Scorpio seit 1997 das Hurricane Festival und sechs weitere Großveranstaltungen (u. a. Area 4, Southside, M'Era Luna) organisiert - ein Open-Air-Imperium, welches 2007 mehr als die Hälfte des Umsatzes von 35 Millionen Euro der FKP Scorpio GmbH erwirtschaftete. Der Gesamtetat des diesjährigen Hurricane Festivals, sprich Gelände, Technik, Logistik, Personal und Künstlergagen, liegt bei sechs Millionen Euro, rund die Hälfte davon geht an die fast 70 Künstler wie Die Ärzte, Kings Of Leon, Fettes Brot oder Kraftwerk. Genaue Festival-Gagen werden traditionell nicht veröffentlicht, Insider gehen davon aus, dass Top-Bands wie Massive Attack oder Foo Fighters hohe sechsstellige Eurobeträge für ihre Auftritte aufrufen, um sinkende CD-Absätze zu kompensieren.

Da sind Sonderwünsche wie die von Marilyn Manson, der beim Hurricane 2007 das üppige Backstage-Büfett ignorierte und einen Scorpio-Praktikanten mit einer meterlangen McDonald's-Bestellung ins nahe Rotenburg scheuchte, Peanuts.

Newcomer wie die englischen Friendly Fires, die auf dem diesjährigen Hurricane-Programm im Kleingedruckten stehen, müssen mit einem Handgeld auskommen, haben aber eine große Chance.

Friendly-Fires-Sänger Ed Macfarlane: "Bei Festivals können wir neue Fans gewinnen, die zufällig vor unsere Bühne stolpern." Billy Talent aus Kanada machte es vor, spielte auf dem Hurricane Festival 2004 nachmittags vor einem Häuflein verkaterter Neugieriger, 2006 und 2008 lockte die Band als Zugpferd Zehntausende vor die Bühne und dominierte die Albumcharts. So sind Open-Air-Veranstaltungen die wichtigsten Promotion-Termine des Jahres für Bands und ihre Plattenfirmen, während sich immer mehr Veranstalter um namhafte Stars und angesagte Newcomer reißen. "Es ist bei der Masse an Festivals insgesamt schwieriger geworden, Bands zu finden, es wiederholt sich vieles" sagt Koopmans.

Wer kräftig in ein interessantes Programm investieren kann, ist im Vorteil. Der Großteil des Hurricane-Etats ist über die erwarteten 60 000 verkauften Karten zu 110 Euro gedeckt, der erwartete Gewinn liegt bei sieben Prozent, eine hübsche Summe auch für den an FKP Scorpio und MLK (Rock am Ring, Rock im Park) mehrheitlich beteiligten Ticket-Giganten CTS Eventim.

Dazu kommen aber auch bis zu zehn Prozent Einnahmen durch Sponsoren. Zehntausende Besucher aus relativ homogenen jugendlichen Zielgruppen sind für Konzerne mit passenden Produkten, vom Handy bis zum Trendbier, ein wichtiger Image- und Marketingfaktor. "Festivals wären in dieser Form kaum noch möglich ohne Sponsoren", erläutert Koopmans. So musste zum Beispiel das "Melt!"-Festival bei Dessau im Jahr 2003 mangels Sponsoren abgesagt werden.

Auch ganz andere Branchen haben Festivals als Goldgrube entdeckt, vom örtlichen Bauern, der seinen Acker vermietet, bis zum Supermarkt, der sein Biersortiment aufstockt. Toilettenhaus-Firmen wie Toi Toi, Dixi und Sani machen auf Pop-Festivals ebenso große Teile ihres jährlichen Millionenumsatzes wie der exklusive Hurricane-Bandshirt-Hersteller Deutschrock - Letzterer zur Freude der zu einem Drittel am Erlös beteiligten lizenzierten Bands.

Und zur Freude der Deutschrock-Gründer Die Ärzte, die am Sonntag auf dem Hurricane Festival auftreten und laut eigenen Angaben so stinkreich sind, dass ihr Swimmingpool von Casablanca bis nach Istanbul reicht. Aber wenn die Ärzte auf der Bühne sind, treten die omnipräsenten Sponsoren-Plakate und -Stände in den Hintergrund - für einen Hauch von Woodstock. Geben und nehmen.

Ab heute Nachmittag finden Sie online das Videotagebuch unserer Reporter Birgit Reuther und Tino Lange: