Eine große Retrospektive in den Harburger Phoenix-Hallen zeigt bis zum 28. September Werke des Schweizer Konzeptkünstlers Urs Lüthi.

Hamburg. Was tun, wenn die Kunst erschöpft ist? Wenn alle Hoffnung in Bild und Objekt für immer und ewig verschwunden ist? Das war in den 60er-Jahren der Fall. Die Antwort der Künstler ließ nicht lange auf sich warten.Ihre Lösung: Man nehme sich selbst zum Kunstwerk und stelle sich zur Schau. Die deutsche Variante hieß Timm Ulrichs, die englische Gilbert & George, die italienische Piero Manzoni. Die Eidgenossen schließlich fanden in Urs Lüthi (61) ihren Vertreter für moderne Selbstdarstellungskünste.

Eine große Retrospektive in den Harburger Phoenix-Hallen zeigt jetzt Lüthis langes Leben als Kunstfigur. Von frühen Werken, als er sich noch in poppiger Malerei versuchte, über seine kurze Zusammenarbeit mit David Weiss (später Fischli und Weiss) bis hin zur jungen Werkgruppe der "Nature Morte".

Chronologie ist Lüthis Sache nicht. Quer durch die Zeiten taucht sein Konterfei, mal jung und lasziv androgyn, mal mit Hüftgold und in Jogger-Outfit auf den drei Etagen der Hallen auf. Der Mann vermarktet nicht nur sein Image, er spielt obendrein mit dem modernen Markenbewusstsein. Seine frühen Arbeiten, als er mit geschmeidigem Körper den Geschlechterrollen-tausch propagierte (Schwarz-Weiß-Fotografien, die bis heute seinen internationalen Ruf begründen), nutzte er später zur Image-Bildung. Ein Bild taucht somit in zwei Kontexten auf.

Immer wieder und von wechselnden Perspektiven aus beleuchtet Lüthi das Bild, das sich heute einer von sich selbst machen kann und das ihm so oft von Mode und ästhetischen Codes diktiert wird. Lüthi liebt das Spiel mit der Ironie, aber auch den Ernst, den seine Frage an das Glücksversprechen für das moderne Individuum stellt. Und er bleibt ambivalent - ob in der Frage nach der Geschlechterzuordnung oder wenn er sein Haupt auf Objekte setzt, die klassisch afrikanischen, altägyptischen oder südamerikanischen Skulpturen nachempfunden sind.

In Lüthis Welt ist alles Private angenehm ausgeklammert. Keine Betroffenheit, kein Kreisen um das Leiden in dieser Welt. Spricht er von den Protagonisten in seinen Werken, dann spricht er von "ihm" oder vom "er". So viel weiß Lüthi: Der Mann, der da in seinen Werken sich wortwörtlich behauptet, sein Leben der Kunst widmet, ist nur zur Hälfte Urs Lüthi. Die andere Hälfte ist das ganz allgemeine Individuum, das in den Zwängen und Konventionen seiner Zeit steckt und das Lüthi so gerne vorführt, mal als Clown, als Jogger, der rastlos durch das Leben rennt, mal als biederer Hausmann, der sein Mobiliar zertrümmert. Von dieser modern-heroischen Verzweifelungstat hat Lüthi einen Life-Size-Akt anfertigen lassen: Da steht er täuschend echt mitten in der Ausstellung vor den Trümmern seiner Unbeholfenheit. Ein tragikomischer Held, der sich seiner Rolle, die er spielt, schon immer bewusst war.

Bis 28.9., Phoenix-Kulturstiftung, Wilstorfer Straße 71, Sa + So, 15 Uhr: öffentliche Führung, Anm. unter besuch@sammlung-falckenberg.de oder Tel. 32 50 67 62