Sie war eine der besten Ballerinas. Nun versucht sie ihr Glück anderweitig: unter anderem an der Rathausstraße.

Hamburg. "Ich möchte es so sehen, dass alles seinen Grund hat. Ich habe mir natürlich nie vorgestellt, dass es so kommen würde, aber vielleicht ist es richtig für mein Leben. Irgendwann werde ich alles verstehen." Das sagt heute eine der besten, klügsten und schönsten ehemaligen Ersten Solistinnen in John Neumeiers Hamburg Ballett, Heather Jurgensen. Und was sie sagt, klingt überhaupt nicht resignativ, obwohl sich ihr Leben derzeit vollkommen anders gestaltet, als sie es ursprünglich geplant hatte. Sie verkauft im feinen Lädchen Petit Paris an der Rathausstraße französische Delikatessen.

Einem Freund gehört das Geschäft. Er habe ihr in einer Zeit, als sie keine Arbeit hatte, das Angebot gemacht, sagt sie dankbar. "Es war und ist eine große Hilfe. Was ich mache, hat natürlich nichts mit Tanz und dem zu tun, was ich möchte, aber manchmal ist so etwas eben nötig."

Mit Ende der Spielzeit 2007 hatte die gebürtige Amerikanerin und eingebürgerte Hamburgerin kurz vor ihrem 40. Geburtstag Abschied von der Bühne genommen. Wohlüberlegt war dieser Schritt nach 18-jähriger Zugehörigkeit zur Hamburger Compagnie und insgesamt 20 Jahren Berufsleben. Bevor sie 1989 erstmals nach Europa kam und in John Neumeiers Compagnie Aufnahme fand, hatte sie zwei Jahre lang im weltberühmten New York City Ballet getanzt. Sie war dort nicht glücklich. Sie ging.

"Ich bin von Natur aus besonnen und ich treffe gerne klare Entscheidungen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt", hatte sie vor zwei Jahren dem Abendblatt ihren Entschluss begründet, aufzuhören. Im Vollbesitz ihrer künstlerischen Kräfte, als lupenreine Stilistin und wundervolle Tanzdarstellerin hatte sie konsequent einen Schlussstrich gezogen. Danach wollte sie studieren, Kulturmanagement oder Tanzwissenschaft, Literatur oder Geschichte. Vielleicht auch junge Tänzer coachen. Sie wollte lernen, noch mehr lesen, als sie es ohnehin schon getan hatte, sie wollte frei sein, um alles in sich aufzusaugen, wozu sie als Tänzerin keine Zeit hatte. "Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und offen für alles", sagt sie auch heute.

Doch was nützen ihr Aufgeschlossenheit, Klugheit, Bildung, Fleiß und der Wille, sich fortzubilden, wenn ihre Bewerbungen an der Hamburger Universität fehlschlugen, weil Tänzer hierzulande als Ungelernte gelten, trotz langjähriger Ausbildung von frühester Jugend an und selbst wenn sie vom Kaliber einer Heather Jurgensen sind, die zu den weltbesten Ballerinen zählte.

Doch entmutigen lässt sie sich nicht von der derzeitigen Situation, zumal sie mit Yaroslav Ivanenco, einem choreografierenden russischen Tänzer in John Neumeiers Compagnie, seit Langem in glücklicher Verbindung lebt. "Was bin ich? Was will ich?", hatte sich Jurgensen nicht erst in der Zeit gefragt, als sie entschlossen war aufzuhören. Sie hat immer über diese existenzielle, ihre Zukunft betreffende Frage nachgedacht. Die Erwartungen an sie, den ehemaligen Ballett-Star, seien sehr hoch und viele könnten sich offenbar nicht vorstellen, dass sie nun eine normale Frau mittleren Alters sei, die neue Wege gehen will und muss. In Amerika, sagt sie, habe sie mithilfe ihres Vater ein Programm ausfindig gemacht, das ihr die Chance böte, im Tanzberuf zu arbeiten. "Ich weiß nicht, ob es das Beste wäre", wiegelt sie ab. "Yaroslav und ich sind offen. Wenn sich etwas ergibt, sind wir bereit."