Zwei Geiger und zwei Welten waren am Wochenende in der Laeiszhalle zu erleben - David Garrett und Anne-Sophie Mutter, der Pop-Geiger und die Hohepriesterin der Klassikgemeinde.

Hamburg. David Garrett und Anne-Sophie Mutter, der Pop-Geiger und die Hohepriesterin der Klassikgemeinde, gaben sich die Klinke in die Hand. Wunderkinder sind sie beide einmal gewesen. Doch während Karajans kesse Kleine sich längst zum kühl-entrückten Violinidol gewandelt hat, zelebriert der ehemals brave Wunderknabe Garrett heute den Stilbruch mit den Hochkulturgepflogenheiten.

Überdurchschnittlich viele junge Leute, gut gekleidet und gut gelaunt, füllten die Laeiszhalle bei Garretts Auftritt bis zum letzten Platz - für die meisten wohl ihr Musikhallen-Debüt. Der Star-Geiger ist mit seinen Hörern per Du und bestreitet einen Großteil des Konzerts locker auf einem Barhocker. Er führt entspannt, ein ganz klein wenig belehrend, aber dafür sehr persönlich durch sein Programm - und ist selbstironisch genug, um über seine Phrase "Ihr seid von allen das beste Publikum" selber zu lachen.

Das Programm bleibt eigentlich Nebensache, statt des angekündigten Beethoven spielt Garrett Francks A-Dur-Sonate, und zum Auftakt gibt er den Guinnessbuch-prämierten Hummelflug in Überschallgeschwindigkeit zum Besten. Auch mit Ende 20, so scheint es, ist David Garrett, was er immer war: das Wunderkind. Nett, Staunen erregend, gewinnend. Er beherrscht die technische Seite des Geigespielens so spielend, dass er es sich leisten kann, an Stellen virtuosen Leerlaufs kokett ins Publikum zu gähnen. Und hätte er eine dritte Hand, würde er vermutlichen einen Apfel essen, während die anderen beiden Sarasates Tarantella abspulen.

Seine exzellente Begleiterin Milana Chernyavska nennt er "meine Pianistin", obwohl die sich bei Cesar Francks Sonate sehr bremsen musste, um ihren klanglich anfangs noch ziemlich schwachbrüstigen Partner nicht an die Wand zu spielen. Und von Griegs Sonate op. 45 blieb am Ende nicht viel mehr im Ohr als der ausgiebige Gebrauch von gefühlsverstärkendem Vibrato und Portamento.

"Musik ist keine Religion", hat David Garrett einmal verkündet. In der Laeiszhalle war Musik tatsächlich einfach Vergnügen. Doch tags darauf, beim Auftritt von Anne-Sophie Mutter und dem Oslo Philharmonic unter Jukka-Pekka Saraste, war sie mehr.

Den ersten Hoppla-Effekt des Abends barg der Klang des Oslo Philharmonic. Eine unglaublich homogene Streichergruppe, klang- und druckvolle Bläser, die trotzdem nicht forciert oder roh klangen. Berlioz' "Carnaval Romain" gelang so als Schaustück erlesener Orchesterkultur. Das zweite Aufhorchen kam mit Mendelssohns Violinkonzert. Was man ungleich elegischer zu hören gewohnt ist, kam hier auf einmal zügig und dramatisch daher. Ein schneller Blick ins Programmheft belehrt den Zweifler: Ja, es steht tatsächlich "Allegro molto appassionato" über dem ersten Satz. Dass ausgerechnet Anne-Sophie Mutter, die eher für ihre Marmor-Kühle berüchtigt ist, nun just im eleganten Biedermeier Mendelssohn den Stürmer und Dränger entdeckt, erstaunte ebenso wie ihr Spiel.

Selbst der roh zupackende Doppelgriff passt bei ihr perfekt ins Konzept. Sie gebietet über flötenartige Klänge, die vollkommen mit den Holzbläsern verschmelzen, fahle Harmonien und jede andere erdenkliche klangliche Nuance. Und sie ist es - und nicht der klug sich zurückhaltenden Saraste -, die mit festem Blick auf die Konzertmeisterin das Orchester förmlich voranpeitscht. Mutters zur Schau getragener Kasten-Dünkel lässt ihr die Herzen nicht unbedingt zufliegen. Doch er ist wohl auch die Außenseite jener unbedingten Konzentration, die Musik in letzter Vollendung erfordert. Alles andere ist einfach nur nett.