Die Nazi-Groteske “Inglourious Basterds“ ist ein überraschend deutscher Film. Vor allem ein Schauspieler stiehlt Brad Pitt die Show: Christoph Waltz.

Cannes

Beantworten wir die dringendsten Fragen zuerst. Jawohl, "Inglourious Basterds", der neue Tarantino, erhielt bei seiner Uraufführung in Cannes freundlichen Beifall. In der Tat, wir sehen die Skalpierung einiger deutscher Soldaten, einer wird per Baseball-Schläger totgeprügelt, außerdem richten am Ende zwei Maschinengewehre ein Blutbad in einem Kino an. Aber insgesamt hat Cannes dieser Tage grausamere Filme gesehen. Und schließlich: Ja, der Zweite Weltkrieg endet bei Tarantino anders, als unsere Geschichtsbücher uns das erzählen.

Kommen wir nun zu den wahren Überraschungen dieses Cannes-Vormittags, bei dem Hunderte Untröstliche keinen Einlass in das 3000-Sitz-Kino "Lumière" fanden. Zum Beispiel wurde beim Festival immer wieder die Frage diskutiert, ob Deutschland nun einen Film im Wettbewerb habe oder nicht; nach der Ansicht der "Basterds" lässt sich diese Diskussion urplötzlich ausweiten. Gewiss, Regisseur und Produzent sind Amerikaner, und von den fast 50 Millionen Euro Budget kommt nur ein Fünftel aus dem Deutschen Filmförderfonds. Aber gedreht wurde komplett in Babelsberg und Umgebung, das Thema - die Besetzung Frankreichs - ist ebenso deutsch wie die Mehrheit der Besetzung: Christoph Waltz, Daniel Brühl, Til Schweiger, Christian Berkel, Diane Kruger, Gedeon Burkhard, Jana Pallaske.

Und irgendwann im Lauf der Vorführung wird einem bewusst, dass ein Gutteil des Originaldialogs sich in Deutsch abspielt. Nimmt man die französischen Szenen dazu, dürfte Englisch die Minderheitensprache in diesem amerikanischen Film sein. Hollywood geht mit seinen Großproduktionen gern ins billigere Ausland, aber dass es fremde Sprachen einen seiner Mainstream-Filme dominieren lässt, dürfte es noch nicht gegeben haben. Das gesprochene Deutsch ist im Übrigen nahezu fehlerlos, die Erklärung findet sich in einer weiteren Überraschung im Abspann: Die Sprachüberwachung am Set lag bei Tom Tykwer.

Von der Überraschung zur Sensation. Der Star dieses Films, hieß es von Beginn an, sei Brad Pitt, - nun stellt sich heraus, dass Pitt zwar an der Spitze der Besetzungsliste steht, dort aber ein anderer hingehört: Christoph Waltz.

Dass seine Rolle - die des SS-Schnüfflers Hans Landa - ein saftiger Part sein würde, ließ sich schon aus dem Drehbuch herauslesen, das seit Monaten im Internet kursiert. Wie viel Raum ihm aber Tarantino hier einräumt, ist absolut erstaunlich.

Brad Pitt hat dagegen einen undankbaren Part, obwohl der Film eigentlich von ihm und seinen "Basterds" handelt: Er führt eine Guerilla-Truppe an, deren einzige Aufgabe es ist, möglichst viele Naziuniformträger möglichst grauselig zu töten. Im Wesentlichen darf Pitt eine schneidige Rede halten und Kommandos zum Skalpieren geben. Ansonsten steht er linkisch herum, während Waltz im Vordergrund freundliche Gemeinheiten verteilt oder eiskalt mordet. Landas fröhlicher Zynismus bestimmt die Tonlage der "Inglourious Basterds".

Auf jeden Fall manifestiert sich in diesem Film ein Einschnitt in der Behandlung des Dritten Reichs durch das Kino. Die Nazis sind kein lastender Schatten der Vergangenheit mehr, aus ihnen ist Genre-Spielmaterial geworden, so wie Dschingis Khan oder King Kong oder Winnetou (die alle drei in den "Basterds" auch vorkommen). Nicht umsonst spickt Tarantino seinen Film mit Referenzen an das europäische Genrekino, und dessen Personifizierung hier ist der Italiener Enzo Castellari, der einen Nazi-General spielt, und uns als Regisseur in den 70er-Jahren mit Wegwerfware wie "Zwiebel-Jack räumt auf" oder "Zwei Supertypen in Miami" beschenkte.

"Inglourious Basterds" wird nicht Geschichte schreiben wie "Pulp Fiction" vor 15 Jahren an gleicher Stelle, dafür ist er in der Form nicht innovativ genug und bricht keine Tabus, weder in der Darstellung der Nazis noch bei der Gewalt. Außerdem lässt er uns mit einer ganzen Reihe von Fragen zurück. Will Tarantino seinen US-Fans wirklich die deutschen Dialoge mit englischen Untertiteln zumuten? Was ist aus Samuel L. Jackson geworden, der als Erzähler durch die Geschichte führen sollte? Werden die Szenen mit Maggie Cheung und Cloris Leachman nachträglich eingebaut? Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Film, der in Cannes Uraufführung feierte, wesentlich anders aussieht, wenn er in die Kinos kommt. In Deutschland ist es am 20. August so weit.