Man nennt ihn "Gossen-Goethe"

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Boulevard-Journalist: Jeden Tag gibt es "Post von Wagner". Seine Kolumnen lösen Begeisterung und Kopfschütteln aus - ein "Zapp Spezial" über Franz Josef Wagner.

Porträt: Ich bin Wagner - Du bist Deutschland. 23.00 Uhr NDR

Wer die "Bild"-Zeitung aufschlägt, kann gleich links auf der Seite 2 "Post von Wagner" lesen. In wenigen Sätzen hat dort Chefkolumnist Franz Josef Wagner (62) an einen Adressaten geschrieben, was er für die Botschaft des Tages hält. Häufig trifft er damit exakt die Einschätzung eines großen Teils der zwölf Millionen "Bild"-Leser. An dem Tag, an dem Oliver Kahn erklärte, auch als Ersatztorwart bei der Fußball-Weltmeisterschaft dabeizusein, hatte ihm Wagner in seiner Kolumne genau dies empfohlen: " . . auf der Ersatzbank, dem furchtbarsten Platz der Welt, kann man der Größte werden. Menschlich, großartig - ein König, der nicht flieht."

Mehr als tausend solcher Briefe von Wagner hat "Bild" in den vergangenen fünf Jahren gedruckt. Sie richteten sich an Angela Merkel, Jürgen Klinsmann, aber auch an die "Katzenfreunde", das "kinderlose Deutschland" oder die "lieben Nichtwähler". Wagner, früher Chefredakteur von "Bunte" und "B.Z.", Reporter und Romanautor, ist fast täglich präsent in "Bild", aber nie auf dem Bildschirm. Wohl zehn- bis 20mal hat er Einladungen zu Talkshows - "von Christiansen bis Illner" - abgelehnt.

Nach mehr als zwei Jahren Überzeugungsarbeit ist es dem SWR-Reporter Thomas Leif gelungen, Wagner zur Mitarbeit an einem TV-Porträt zu bewegen, das als "Zapp Spezial" mit dem Untertitel "Ich bin Wagner - Du bist Deutschland" läuft (Wiederholung am Freitag, 21. April, um 15.30 Uhr auf 3sat).

Warum er sich bisher den TV-Kameras verweigerte? "Ich glaube, daß das Fernsehen ganz unbarmherzig ist", sagt Wagner. "Das Fernsehen zeigt jedes nicht Perfekte tödlich genau." Sei es ein Stottern, eine zu langsame Antwort - alles "negative Dinge, die mir schaden und auch meinen Mythos zerstören können".

Jeden Tag zwischen 15.30 und 18 Uhr tippt Wagner seine 15 Zeilen am Laptop in seiner Berliner Wohnung. Seine Kolumne ist gnadenlos subjektiv, sie polarisiert und löst neben Begeisterung auch Kopfschütteln aus. Seine Arbeitsweise: "Der erste Satz muß wie der Lassowurf eines Cowboys sein. Mit dem ersten Lassowurf muß ich den Leser fangen." Seine Motivation: "Erstens will ich den Leser nicht langweilen, zweitens will ich ihn unterhalten, drittens will ich ihn zum Nachdenken zwingen."

Leifs Film zeigt Wagner in seiner Wohnung, in seinem Büro im Berliner Springer-Hochhaus, in der "Paris Bar" und beim Spaziergang. Im Springer-Verlag zählt sich "Welt"-Chefredakteur Roger Köppel zu seinen "großen Bewunderern": "Ich würde mich glücklich schätzen, wir hätten auch so einen." Der frühere "Bild"-Chefredakteur Udo Röbel: "Wagner ist Genie und Wahnsinn in einer Person." Und der ehemalige Chefredakteur von "Bild am Sonntag", Michael Spreng, sieht in Wagner einen "einsamen Wolf, einen sehr guten Schreiber, aber auch einen völlig Verrückten. Eine Figur, die aus dem deutschen Journalismus nicht wegzudenken ist." Für den Hamburger Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg ist Wagner "singulär, grenzwertig, teilweise unterirdisch".

Für Wagner selbst gibt es nur ein Horror-Szenario: "Wenn ich ungedruckt leben und nur für mich brummelnd den Ku'damm rauf- und runtergehen müßte, wo mich keiner hört."

( dpa )