Überleben in einer Schale

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Lutz Wendler

Esther Bauers wahre Geschichte

HAMBURG. Esther Bauer aus New York City ist eine freundliche Dame, die gut gelaunt aus ihrem Leben erzählt, gern in ihr leicht hamburgisch eingefärbtes Deutsch eine amerikanische Redensart einflicht oder ein Witzchen parat hat. Wenn sie ihren Lebensgefährten William Engel vorstellt, verrät die 82jährige, daß er ein Jahr jünger als sie sei - es folgt ein Augenblitzen und der Zusatz: "My boy-toy."

Es ist nicht einfach, die lustige Esther Bauer mit ihrer Lebensgeschichte in Einklang zu bringen. Denn die gebürtige Hamburgerin entkam nur mit Glück dem Holocaust. Das Einzelkind hat seine Eltern Marie Anna und Alberto Jonas (der Vater war Direktor der Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße, die Mutter Ärztin) im Konzentrationslager verloren. Dennoch sagt sie: "Ich habe viel Glück im Unglück gehabt." Und daß sie wie in einer Schale lebte: "Ich habe vieles nicht an mich herankommen lassen und so überlebt, glaube ich."

Ohne Bitternis berichtet sie von Eppendorf, wo sie im Woldsenweg aufwuchs. Und nach den Rassegesetzen nicht mehr den benachbarten Park oder das Holthusenbad betreten durfte. Wo Nachbarn plötzlich nicht mehr grüßten. "Aber ich bin nie bepöbelt worden", sagt Esther. Sie berichtet vom strengen Vater, der sie oft distanziert behandelte, damit niemand sagen konnte, die Tochter des Schulleiters würde bevorzugt. Nur neun Klassen hat sie absolvieren können: "1939 waren wir 25 Mädchen, am Ende des Schuljahrs nur noch drei. Eine davon war ich, die anderen beiden wurden ermordet."

Esther kam 1942 nach Theresienstadt. Und auch hier sah sie Positives: "In Hamburg hatte es kaum noch jüdische junge Menschen gegeben, hier waren schöne und intelligente - das hat mich glücklich gemacht." Sie verliebte sich in einen Tschechen, den sie heiratete. Er wurde verlegt und starb in Bergen-Belsen. Das aber erfuhr sie erst, nachdem sie selbst Auschwitz, die Zwangsarbeit in einer Flugzeugfabrik und Mauthausen überlebt hatte. 1946 emigrierte sie in die USA, heiratete und arbeitete im Textilgeschäft ihres Mannes: "Eine harte Sechstagewoche, was mir beim Vergessen half. In den ersten 40 Jahren nach dem Krieg wollte kein Mensch etwas von meiner Geschichte wissen", sagt sie. Dann wurde Esther in eine Schule eingeladen. Seitdem spricht sie viel mit jungen Menschen. Auch diesmal stehen vier Schulbesuche in Hamburg an. "Doch meine Geschichte ist nur eine über den Holocaust. Es gibt Abertausende andere - und sie alle sind wahr."

( wend )