Hamburg. "Ich bin nicht schwierig, ich bin fordernd." Da gehen die Meinungen durchaus auseinander - für Fans und viele Kritiker gilt der Tenor Neil Shicoff als "method singer", der so sehr in seinen Rollen aufgeht, dass er schon mal weinend die Bühne verlässt, wenn alles zu echt und ihm zu viel wird. Jetzt ist Shicoff wieder in Hamburg zu hören - am 21. und 26. März (beide Abende sind ausverkauft) singt er in der "Tosca" an der Staatsoper eine seiner Paraderollen, den Maler Cavaradossi. Bei Tee und Gebäck und mit Luftbefeuchter sprachen wir mit dem bestens Gelaunten.
ABENDBLATT: Ist Lampenfieber noch ein Thema für Sie?
NEIL SHICOFF: Das habe ich während der gesamten Aufführung. In den letzten Jahren habe ich meine Gefühle zwar besser als je zuvor im Griff. Trotzdem: Normalerweise komme ich anderthalb Stunden vor Beginn in die Maske und arbeite dann mit einem Pianisten am ersten Akt, und nach jedem Abgang - ob im Stück oder zur Pause - gehe ich wieder dorthin und arbeite weiter.
ABENDBLATT: Aber der Sinn der Pause ist doch die Pause?
SHICOFF: Mach ich nicht. Ich setze mich auch nicht hin.
ABENDBLATT: Wie viel Zeit vergeht, bis Sie zurück aus der Rolle und wieder Neil Shicoff sind?
SHICOFF: Kommt immer auf die Rolle an. Als ich hier in Brittens Oper "Peter Grimes" sang, hat es einen Monat gedauert, um über die Paranoia meiner Rolle hinwegzukommen.
ABENDBLATT: Können Sänger und Dirigenten befreundet sein?
SHICOFF: Obwohl ich am ehesten mit Dirigenten und weniger mit Regisseuren Probleme habe: Ja, viele meiner Freunde haben mich schon dirigiert.
ABENDBLATT: In Wien, bei Halevys "La Juive", führte Sie Simone Young - demnächst Generalmusikdirektorin in Hamburg.
SHICOFF: Sie hat ihren Job da fantastisch gemacht, aber wir hatten auch durchaus unsere moments. Allein: Ich streite niemals mit einem Dirigenten, wenn das Orchester dabei ist. Niemals! Er kann mich gern missbrauchen, mich und den Intendanten in seine Garderobe rufen, okay. Aber nie vor den Musikern, das wäre unglaublich respektlos.
ABENDBLATT: Haben Sie Hamburg, vielleicht auch mit Young, wieder in Ihrem Terminkalender?
SHICOFF: Wir wollen bald darüber reden, noch ist nichts fest. Ich komme aber im Oktober für "Maskenball". "La Juive" würde ich gern so oft es geht machen. Es ist ein sehr politisches Stück - und ich würde es auch gern hier mit Simone bringen.
ABENDBLATT: Sonstige Pläne?
SHICOFF: Mehr als je - 2005 Puccinis "Manon Lescaut", 2006 Mozarts "Idomeneo", an dem arbeite ich schon. 2007 Brittens "Tod in Venedig", vielleicht Meyerbeers "Hugenotten", später Tschaikowskys "Pique-Dame".
ABENDBLATT: Kein Wagner?
SHICOFF: Ich denke, darin kann ich nichts für mich als Schauspieler entdecken. Lohengrin ist mir zu optimistisch. Auf der Bühne bin ich eindeutig gut für Pessimisten zu gebrauchen. Viele haben sich in Salzburg bei "Hoffmanns Erzählungen" darüber aufgeregt, dass er drogensüchtig und am Ende gestorben ist. Mir hat das gefallen. Ich mag das Sterben.
ABENDBLATT: Ich frage mich, wie es wohl ist, auf die Bühne zu kommen, und dann ist da dieses schwarze Loch, voller Zuhörer.
SHICOFF: Sie jagen mir Angst ein . . . (lacht)
ABENDBLATT: Wollte ich nicht.
SHICOFF: Es sieht genau so aus, wie ich reagiere. Ich versuche beim Rausgehen immer, nicht zur Salzsäule zu erstarren. Es gibt nur ein Haus, wo ich in der Maske einschlafen kann: Zürich.
ABENDBLATT: Haben Sie eine vage Vorstellung, warum es über Tenöre immer wieder heißt, sie seien nicht besonders intelligent?
SHICOFF: Wenn Sie sich jemand wie Placido Domingo ansehen - der ist sehr intelligent. Andererseits: Auch ich kann Spitzentöne halten und so richtig dumm sein für 15 Sekunden! Das hatte ich im letzten Jahr in Wien, bei einer "Tosca". Alle sagten, Franco Corelli hätte 14 Sekunden geschafft, und ich sagte, ich kann länger, also ging ich raus und sang 15 Sekunden. Und bekam schlechte Kritiken, weil ich mich angeblich so egozentrisch verhalten hätte.
ABENDBLATT: Das könnte man auch von dem halben Dutzend Abende behaupten, an denen Sie mittendrin gegangen sind.
SHICOFF: Nun ja, so etwas ist weder für die Karriere noch für die Psyche gut, wenn man einer Opernleitung sagen muss, ich kanns nicht zu Ende bringen. Ein Beispiel: Ich sang "La Juive" in New York - unglaublich erfolgreich! Am Ende eines Abends dachte ich mir: Ich muss nicht mehr singen. Besser gehts nicht. Danach hatte ich fünf Tage frei, und bei der nächsten Vorstellung, mit dieser Einstellung, ließ ich mich gehen. Musste aufhören. Hatte keinen Zweck. Ich war froh, dass ich danach einige "Lucias" und "Toscas" in Zürich hatte, um mein Selbstvertrauen wiederzugewinnen.
ABENDBLATT: Haben Sie sich schon mal gefragt: Warum hab ich nichts Ordentliches gelernt?
SHICOFF: Ich wollte ja mal Anwalt werden . . . Wenn ich alle meine Rechnungen angemessen bezahlen könnte, würde ich diesen Job auch für zehn Prozent der Gagen machen. Aber vor allem brauche ich dieses Ventil. Ich muss rauslassen, was in mir ist. Ich suche in den Charakteren nach dem, was für mich Therapie sein kann. In einen destruktiven Charakter kann ich mich in zwei Minuten verwandeln. Ich weiß, was sie fühlen.
ABENDBLATT: Kennen Sie einen guten Tenor-Witz?
SHICOFF: Sie meinen einen wie den mit dem einen Tenor, der die Glühbirne hält, und der Frage, wie viele Tenöre man braucht, um ihn zu drehen?
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