Liebesbriefe: Von der Komplizierten Kunst der amourösen Formulierung

Lizenz zum Flöten

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Joachim Mischke

Sonnabend ist Valentinstag. Doch wie nur findet Mann die richtigen Worte für die Angebetete?

Hamburg. Kann man sich als Mann zu einem größeren Deppen machen als mit einem Text über die Liebe, das Größte, Ewigste und Schwerste aller Themen seit der Sache mit Adam, Eva und dem Apfel? Kann man als Mann mehr Herzen brechen und auf ewig für sich gewinnen als mit poetischen Worten, die beim Lesen eine leichte Röte auf die Wangen treiben? Mit Worten, die - leise von der einzig denkbaren, schönsten Empfängerin mitgelesen - noch zarter die Seele streicheln als ein sanfter Frühlingswind? Mit Sätzen, die daran erinnern, dass gemeinsame Unsterblichkeit beim ersten, sehnsüchtig erwarteten Kuss beginnt? Oder doch eher mit Versprechungen, die eindeutig nicht jugendfrei sind?

Tja, meine Herren. Das sind so Fragen. Nicht erst heute, nicht nur hierzulande. Und nicht nur dramatisch kurz vorm morgigen Valentinstag, dem datumgewordenen Lackmustest für die Güte zwischenmenschlicher Gefühle. Aber dann natürlich ganz besonders. Denn es ist ja mit diesem 14. Februar wie mit den Geburtstagsgeschenken. Immer heißt es, ach nee, wir schenken uns nichts, wir haben ja uns, und was soll der ganze blöde Kommerzdruck überhaupt. Und dann ist es so weit, nichts ist besorgt, noch nicht mal eine Notwehrpackung Pralinen, und es setzt Blicke, die waffenscheinpflichtig sind. Brauch ich nicht, so was. Aber haben will ich's schon. Weibliche Dialektik eben. Also etwas, was man nie, nie, nie in einem guten Liebesbrief erwähnen sollte. Zurück zum Thema. Abschweifen und faseln ist nämlich ganz schlecht.

"Um einen guten Liebesbrief zu verfassen, musst Du anfangen, ohne zu wissen, was Du sagen willst, und enden, ohne zu wissen, was Du gesagt hast", riet der französische Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau seinen Zeit- und Leidensgenossen. "Wir schreiben, weil wir schüchtern sind. Was wir sagen wollen, ist zu wichtig, um es gesprochenen Worten anzuvertrauen", gestand der Autor Alain de Botton ("Versuch über die Liebe"). "Easy said, but schwer getan", kann man da mit einem Zitat aus dem Musical "Black Rider" nur seufzend entgegnen. Die Kunst der zielstrebig amourös gedachten Formulierung gehört zum Kompliziertesten, an dem sich selbst die klügsten männlichen Hirne seit Jahrhunderten versuchen. Deswegen werden die gelungenen Ergebnisse dieser Experimente wohl auch immer seltener. Zum Mond fliegen, kein Problem, das kriegt unsereins inzwischen hin. Aber der perfekte universale Liebesbrief, DER Text, sie auf ewig zu binden? Na bitte.

Zu gern wäre man dabei gewesen, als der erste Liebesbrief in Arbeit ging. Entstand er ganz und gar freiwillig? Wohl kaum. Denn Männer tun bekanntlich lieber, Frauen wollen vor allem etwas. Und vor allem wollen sie angebetet werden, zur Not auch erst mal nur verbal. War es ein Text, der eilig aufs nächstbeste Pergament geworfen wurde, in der Hitze des Moments, weil die Hormone brodelten? Brauchte es Stunden oder Tage und zahllose Fehlversuche, bis endlich ein Text fertig war, der halten konnte, was er seiner Empfängerin versprach? Wir wissen es nicht.

Doch genau hier kommt Guido ins Spiel mit dem Feuer. Guido ist, naturalmente, Italiener. Und Guido war der erste von vielen, vielen Männern, die vielen, vielen Männern das Liebesleben mit praktischen Ratschlägen erleichtern wollten. Guido, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Geistlicher aus Casentino, verfasste in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die wohl älteste Ratgebersammlung für überforderte Liebesbrief-Schreiber - quasi eine Lizenz zum Flöten (wieso ausgerechnet ein Geistlicher solche Texte verfasste, steht womöglich auf einem anderen Blatt). Gefunden wurden Guidos gut gemeinte Tipps jedenfalls in einer Bibliothek in Verona. Da haben wir's mal wieder. Es gibt beim Thema Liebe keine Zufälle. In jener Stadt, die durch Shakespeares "Romeo und Julia" weltbekannt wurde.

Von Guido lernen heißt siegen lernen? Zumindest hat der mittelalterliche Ghostwriter einige Phrasen und Empfehlungen auf Lager, die auf den ersten, männlich getrübten Blick zeitlos verwendbar wirken. Gut, seine Verweise auf berühmte Vergleichs-Paare sind inzwischen veraltet. Statt Paris und Helena oder Priamus und Thisbe gingen heute wohl eher Angelina und Brad oder gleich Barack und Michelle. Er rät außerdem, man solle der Angebeteten so viele Grüße schicken, "wie der Sommer Blumen bringt". Man soll die Entfernung zur Geliebten als Maß des körperlichen Leidens verdeutlichen. Und man soll nie vergessen, auch mal ordentlich Klartext zu schreiben. Umarmungen, Küsse, Verlangen, süße Dinge, die man anstellen könnte. Alles in allem: Respekt und mille grazie, Guido!

Ein paar Jahrhunderte später - andere Frauen, das gleiche Elend für uns Männer. Die wenigsten nehmen sich noch die Zeit, Liebesbriefe mit der Hand zu schreiben, zwei SMS-Daumen müssen bei gefühlsverarmten Kerlen fürs Nötigste in bis zu 140 Zeichen reichen. "HDGDL". "Hab dich ganz doll lieb". Na prima.

Aber wie für alle anderen möglichen und unmöglichen Dinge des Lebens wirft das Internet selbst den einfallslosesten Schreibstümpern virtuelle Rettungsringe zu.

Es gibt etliche Textgeneratoren, in die man alle notwendigen Fakten eintragen kann (z. B. www.liebster.de oder www.maennerseiten.de/flirtsoftware.htm ). Die Ergebnisse sind in aller Regel von erschütternder Bräsigkeit. Hier das Modell "Heinz-Peter an Susi / kurz / stürmisch":

"Innig geliebte Susi!

Jedes Wort, das ich für Dich, innig geliebte Susi, zu Papier bringe, kommt direkt aus meinem Herzen. Ich werde nie vergessen, wie Du mich das erste Mal zärtlich geküsst hast und damit meinen Puls in nie geahnte Höhen getrieben hast. Ich möchte mit Dir weiterhin die Leidenschaft erleben, die so außergewöhnlich ist und die ich nie zu erträumen wagte.

In inniger Liebe,

Dein Heinz-Peter"

"Worte, die aus Maschinen kommen, haben keine Seele." Das ist nicht von Cyrano de Bergerac, sondern von einem greisen, öffentlichen Briefeschreiber aus Saigon. Alle Männer sind offenbar ein bisschen Guido. Manche merken es nur viel zu selten - oder zu spät.