"Ich war oft meiner Zeit voraus"

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SABINE WEISS

Interview mit Dieter Meichsner

Hamburg. Das deutsche Fernsehspiel wäre ohne Dieter Meichsner in seiner heutigen Form kaum denkbar. Von 1968 bis 1991 war der gebürtige Berliner Fernsehspiel-Chef des NDR. Am 14. Februar feiert er seinen 75. Geburtstag. ABENDBLATT: Herr Meichsner, verfolgen Sie auch heute noch die Entwicklung der TV-Landschaft? DIETER MEICHSNER: Natürlich. Wenn etwas hoch gelobt wird, schaue ich es mir an - auch bei den Privatsendern. ABENDBLATT: Sie haben die Geschichte des Fernsehens als Dramaturg und durch Ihre Drehbücher stark geprägt. Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Fernsehspiels in den letzten Jahren? MEICHSNER: Das kann ich nicht verallgemeinern. Ich finde die früheren Kollegen schrecklich, die den alten Zeiten nachjammern - denn das ist zahnlos. Wenn man gewusst hat, dass sich etwas verschlechtert, hätte man es ja ändern können. Also soll man den Mund halten. Heute haben es die Fernseh-Macher schwerer. Ich hatte eine große Freiheit im NDR. Ich bin nie nach einer Einschaltquote gefragt worden. Warum nicht? Ich war doch selbst dringend daran interessiert, dass möglichst viele Menschen einschalten! ABENDBLATT: Sie haben schon oft den richtigen Riecher bewiesen, zuletzt in Ihrem Film "Die achte Todsünde - Gespensterjagd" (ARD). Da zeigten Sie die Funktionsweise des internationalen Zigarettenschmuggels auf. Die Ermittlungen der EU-Kommission gegen Firmen wie Reemtsma scheinen Ihre Recherchen zu bestätigen . . . MEICHSNER: Ich empfinde darüber keinerlei Triumphgefühl. Das hätte jeder wissen können, der intensiv recherchiert hat. Das Lustige ist: In der "FAZ" wurde dieser Film wegen seiner unglaubwürdigen Geschichte gerügt. Das ist mir schon ein paarmal passiert. Ich war oft meiner Zeit voraus. Es ist aber auch Glückssache, dass man die richtigen Informanten zum richtigen Zeitpunkt erwischt. ABENDBLATT: Sie werden vor allem mit Produktionen wie "Schwarz Rot Gold", Dieter Wedels "Einmal im Leben" und "Tatort" - Sie gehören zu den Erfindern der ARD-Reihe - in Verbindung gebracht. Welche Ihrer Filme liegen Ihnen persönlich besonders am Herzen? MEICHSNER: "Besuch aus der Zone", "Wie ein Hirschberger Dänisch lernte" über die Geschichte der Rettung der dänischen Juden vor den Nazis, "Novemberverbrecher" über den Zusammenbruch von 1918 und die Folgen, "Alma Mater" über die Studentenbewegung der 60er-Jahre, "Eiger" über eine Eiger-Nordwand-Durchquerung und "Preis der Freiheit" über eine Nacht bei der Kompanie der Nationalen Volksarmee an der deutsch-deutschen Grenze. Letzterer wurde Generationen von Westberlinern Schutzpolizisten vorgeführt. Diese Genugtuung, richtig gelegen zu haben, freut mich mehr als gute Kritiken. Da ich darauf aus bin, Realität abzubilden, ist so eine Bestätigung das Schönste, was mir passieren kann. ABENDBLATT: Zudem haben Sie viele Kreative gefördert, u. a. gelten Sie als Entdecker der Regisseure Dieter Wedel und Wolfgang Petersen . . . MEICHSNER: Das bin ich gern, aber im Grunde sind das biografische Zufälligkeiten. Wedel war Assistent bei Egon Monk in der NDR-Redaktion, als ich noch Chefdramaturg war. Eines Tages erzählte er mir von seinem Konzept zu einem Feature über den 17. Juni 1953 - ich habe ihn angeregt, daraus einen Fernsehfilm zu machen. Danach haben wir lange und intensiv zusammengearbeitet. Wolfgang Petersen hingegen hatte sich mit seinem Abschlussfilm bei mir vorgestellt. Mir war klar, dieses Talent musst du fördern, ich konnte es aber nicht - wir hatten damals noch keine Sendeplätze für Debütfilmer. Das Jahr war ausgeplant, da war nichts zu machen. Als er sich verabschieden wollte, fiel mein Blick auf ein "Tatort"-Drehbuch - das wurde dann sein erster Film: "Reifezeugnis". ABENDBLATT: Am 2. April ist Ihr neuester Wirtschaftskrimi auf den Bildschirmen zu sehen: "Die achte Todsünde - Toskana-Karussell" in der ARD um 20.15 Uhr. Welche Rolle spielt die Arbeit heute noch in Ihrem Leben? MEICHSNER: Eine große. Derzeit ordne ich meinen Nachlass für die Akademie der Künste in Berlin, die wollen ihn haben. Außerdem bereite ich Drehbücher vor. Ich recherchiere das brisanteste Wirtschaftskriminalitäts-Thema, das augenblicklich auf dem Markt ist - mehr kann ich nicht verraten . . . ABENDBLATT: Sie sind Mitglied in der Freien Akademie der Künste in Hamburg, sind jedoch in der Filmszene der Hansestadt nicht aktiv. Warum geben Sie Ihr Wissen nicht an die Studenten des Filmstudiengangs weiter? MEICHSNER: Mich hat bislang noch keiner gefragt. ABENDBLATT: Haben Sie schon mal daran gedacht, Ihre eigene Geschichte zu Papier zu bringen? MEICHSNER: Ich muss mir die Zeitläufte, die ich durchlebt habe, erst richtig bewusst machen - schließlich habe ich Hitler noch leibhaftig gesehen, Lenin, Ho und Mao als Mumien. Manchmal stößt einem auch etwas unerwartet zu. So wird mein Roman "Die Studenten von Berlin" von 1954 demnächst im Schöffling-Verlag neu herausgebracht. Das ist ein Göttergeschenk, das mir gänzlich unvermutet zustößt! Interview: SABINE WEISS