Martin Böttcher komponierte, neben vielen anderen, das “Winnetou“-Thema. Gelesen hat er kein Karl-May-Buch, Ehrenhäuptling ist er trotzdem.

Hamburg. Beethoven kam für den Anfang seiner 5. Sinfonie mit vier verschiedenen Tönen aus, bei Martin Böttcher waren es, auch ganz klassisch, acht Noten. So elegisch, als säße man bei Sonnenuntergang lässig in einem Sattel, unter sich ein Pferd und darunter Prärie; darüber, von süffigen Streichern hingebuttert, der Beginn des guten alten "Winnetou"-Themas. Noch unsterblicher als sein Namensgeber, der edle, von Karl May erfundene Häuptling der Apachen. Diese durch und durch herzensgute Melodie, die Generationen von Kindern und Jugendlichen durchs Leben begleitete und mit Sehnsucht nach dem Wilden Westen erfüllte. "Ich finde, es ist gut gelungen", kommentiert Böttcher das auch sehr deutsche Leitmotiv, in aller Bescheidenheit.

Böttcher ist mittlerweile fast 85 und wohnt seit Langem mit seiner Frau in Lugano (ein Vorschlag von Caterina Valente), ein freundlicher älterer Herr im Chefarzt-Sakko, auf den das gute alte Wort "soigniert" passen würde, wäre es noch in Mode. Dass Böttcher nach etlichen Jahrzehnten für einen Kurzbesuch in Hamburg ist, um für eine Best-of-Böttcher-CD-Box zu werben, weckt etliche Erinnerungen. Hier begann seine Karriere, als Unterhaltungsmusiker beim damaligen NWDR.

Böttcher, 1925 in Berlin geboren und Urenkel eines Weimarer Hofkapellmeisters, hatte eigentlich Pilot werden wollen. Er hatte sich das Gitarrenspiel selbst beigebracht und bekam in den frühen Nachkriegsjahren, in denen noch so ziemlich alles ging, diesen Job beim Rundfunk. Einer seiner Kollegen war Hansi - später James - Last. Geld verdiente Böttcher dort, Spaß hatte er als Jazz-Musiker. Die Gitarre wurde Mitte der 50er Nebensache, das Schreiben von Musik für Film und Fernsehen entwickelte sich zur Hauptsache.

Arthur "Atze" Brauner bestellte 1955 bei Böttcher die Musik für die Militärsatire "Der Hauptmann und sein Held", ein Jahr später kamen "Die Halbstarken" mit Horst "Hotte" Buchholz. Für den "Hexer" hatte Böttcher gerade mal drei Wochen Zeit, solche Arbeitsbedingungen treiben einem schnell alle Tonsetzer-Flausen aus dem Kopf. Künstler oder Handwerker? "Man muss beides sein", antwortet Böttcher freundlich und diplomatisch.

Böttchers deutsche Wertarbeit war derart solide, dass er Anfang der 60er nicht nur für die "Pater Brown"-Filme mit Heinz Rühmann die Musik schrieb, sondern auch, vier Jahrzehnte später, für die nach Bayern umgetopfte Wiederauferstehung, in der Ottfried Fischer den kriminologisch interessierten Geistlichen verkörperte.

+++ Erol Sander reitet weiter als Winnetou +++

Und dann natürlich: Karl May, das "Winnetou"-Thema, das sehr verwandte "Old Shatterhand"-Thema, Blutsbrüderschaft in Noten, ganz großes Kino. Für den ersten Soundtrack hatte Böttcher, mit allem Drum und Dran, vier Wochen Zeit und erhielt 8000 Mark.

2011 wurde er in Bad Segeberg zum Ehrenhäuptling ernannt, der offizielle Kampfname lautet seitdem "Großer Vater der Melodien". Dennoch muss sich der Große Vater leicht verlegen räuspern, als die Rede auf seine kleine Schwachstelle kommt, die vielen Bücher von Karl May, von denen er nach wie vor kein einziges gelesen hat. Frank Elstner hatte ihm einen Band geschenkt, "Schatz im Silbersee", "ich hab's dann nur angelesen". Eigentlich konsequent, denn mit seiner Musik hat er den Inhalt bestens verinnerlicht.

Der Werkkatalog liest sich wie eine Déjà-vu-Rundreise durch die Kino-Vergangenheit. Böttcher vertonte "Pension Schöller" und etliche Edgar-Wallace-Filme; die gediegen mondäne Titelmelodie zur Simmel-Verfilmung "Es muss nicht immer Kaviar sein" klingt heute so, wie früher die Regalreihen mit den Lieferungen aus dem Bertelsmann-Buchclub aussahen. Es war BRD, Willy oder Helmut waren Kanzler, es gab den Mann von der Hamburg-Mannheimer und die Ölkrise, der Osten war noch rot. Die Welt war anders, man arrangierte sich. Es war okay.

Genau wie Böttchers Musik, die immer eine Spur biederer und verlässlicher daherkam als ihre Vorbilder aus dem fernen Amerika. Das "Sonderdezernat K1"-Thema war eine Bausparer-Variante von den "Straßen von San Francisco", weniger funky, gerade rasant genug, damit die Kundschaft vor dem Bildschirm sich wohlfühlte. Böttcher schrieb für "Derrick" und "Der Alte". Harald Reinl, Regisseur von May- und Wallace-Verfilmungen, hatte Böttcher einmal jovial nach dem Sichten des Filmmaterials gesagt: "Na, dann schreib mal schöne Musik."

So entstand 1967 der Klang-Flokati für Oswalt Kolles ersten Aufklärungsfilm "Das Wunder der Liebe", säuselnde Frauenstimmen über laszivem Zeitlupen-Samba mit Streicher-Glasur. Ein wissenschaftlicher Berater lehnte Böttchers Musik als "nicht unterkühlt genug" ab und warf sie aus dem Film, er taufte sie um, zu "Wonderland of Love". Bloß nichts umkommen lassen.

An diese Regel hielt Böttcher sich auch, als man ihn bat, die Musik für eine TV-Serie zu schreiben, die in einem baden-württembergischen Mittelgebirge spielt und in der herzensgute Mediziner vorkommen. In etwa die "Dallas"-Fanfare hätte man gern, dachten sich die Produzenten; Böttcher hörte sich das geduldig an, kalkulierte den Bedarf auch an Musikern und schrieb auch einen Themen-Entwurf. Das Ende dieser Angelegenheit: Hans Hammerschmid, langjähriger Komponist von Hildegard Knef, schrieb die Musik für die "Schwarzwaldklinik". Böttchers Ideen wanderten, die waren ja noch gut, eine ZDF-Serie weiter, zum "Forsthaus Falkenau" in den Bayerischen Wald.

Der Privatmann Böttcher hatte es dagegen gern etwas weniger unaufregend. Segelflug, mit einer Vorliebe für viele Loopings. Das Windsurfen, das er 1971 vor Sylt als einer der ersten Deutschen ausprobierte, hat er erst mit 78 eingestellt. Dann war es so langsam doch gut, findet er, lächelt wieder und erinnert sich noch an eine Begegnung mit Henry Mancini, der "Moon River" geschrieben hat und das "Pink Panther"-Thema. Das war schon was gewesen. Wie es sich jetzt anhört, haben die beiden Lieferantenkollegen nicht viel mehr getan als das eine oder andere Wort gewechselt, wie man das so macht bei Branchentreffen. Aber "Tricks" für das Komponieren, die man sich hätte geben können? Darauf hat Böttcher nur die gelassene Antwort eines Routiniers parat. "Es muss einem einfallen."

CD "Martin Böttcher - Seine größten Hits und Filmmelodien" (4 CDs, Warner)