Der israelische Regisseur Chanoch Ze'evi hat eine bewegende Dokumentation gedreht über die Last, Familienangehöriger eines NS-Täters zu sein.

Mit Büchern über Fluch und Segen von Familie könnte man Regalmeter von hier bis nach Moskau füllen. In der Regel lernen wir in diesen Werken eines: Familie entkommt man nicht. Man kann seine Wurzeln verleugnen, verdrängen, ausradieren - irgendwann holen sie einen ein. Im Schlaf, im Unterbewusstsein, in einer unerwarteten Lebenssituation. Was aber, wenn man einen Namen trägt, der an die menschenverachtenden Verbrechen der Nazizeit erinnert - wenn man Himmler heißt, Göring oder Göth? Wie entkommt man einem Erbe, das sich anfühlen muss, als schleppe man einen Felsbrocken am Fußgelenk durchs Leben?

Der israelische Regisseur Chanoch Ze'evi hat Kinder und Enkel von NS-Tätern besucht, die zum engsten Kreis der Hitler-Vertrauten zählten, und dokumentiert, wie verschieden die Nachkommen der Täter in der zweiten oder dritten Generation ihre Familiengeschichte aufgearbeitet haben. Bettina Göring, Großnichte von Hermann Göring, hat Tausende von Kilometer zwischen sich und das Land gebracht, in dem der Nazi-Horror sich unter tatkräftiger Mithilfe ihres Großonkels ausbreitete. Seit über 30 Jahren lebt sie auf einer Farm in New Mexico, wo man noch Cowboyhüte trägt und als Freizeitbeschäftigung Kuhherden beim Grasen zusieht. Kein Telefon, kein Fernseher, hier gibt es keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur die beruhigende Monotonie des Alltags. Ihren Namen hat sie abgelegt, spricht englisch mit hartem deutschen Akzent - aber bewusst kein Deutsch. Die einzige Erinnerung an ihre Herkunft, die sie erlaubt, ist ein altes Familienrezept für Gulasch. Fast ein Wunder, dass sie ein Interview über ihre Verwandtschaft mit dem damaligen Oberbefehlshaber der Luftwaffe überhaupt zugelassen hat. Bettina Göring hat den Weg gewählt, ihre Identität abzulegen wie einen Wintermantel, der nicht mehr passt.

Ganz anders Katrin Himmler, eine kluge Politologin mit meergrünen, von Lachfältchen gerahmten Augen, Großnichte Heinrich Himmlers. In ihrem Buch "Die Brüder Himmler" beschreibt sie, wie "Heini" - wie der größte Massenmörder aller Zeiten im Familienkreis genannt wurde - und seine Brüder schon früh begeisterte Anhänger des Nationalsozialismus waren und die Familie vom Aufstieg Heinrichs profitierte. Dass manch ein Verwandter nicht mehr mit ihr spricht, überrascht die Mittvierzigerin nicht, "schließlich habe ich den Dämon aus der Flasche gelassen". Himmler hat einen jüdischen Israeli geheiratet, dessen Vater als Junge im besetzten Warschau mit "arischen" Papieren überlebt hat. Wie das bitte schön funktionieren solle mit ihnen beiden, wurden sie ständig gefragt. Es funktionierte. Nur wenn sie stritten, wurde aus einer Diskussion ums Frühstücksei ein Streit, in dem ihrer beider Familiengeschichte hochkochte. Heute leben sie getrennt. "Wir waren so naiv zu glauben, unsere Geschichten würden in unserer Beziehung gar keine Rolle spielen", sagt Himmler. Am schwersten, glaubt sie, sei es, eine Balance zu finden zwischen totaler Verleugnung seiner Herkunft und quasi angeborener Loyalität zur Familie.

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Um diesen Zwiespalt herum hat Chanoch Ze'evi seinen klugen Film konstruiert. Er handelt von Schuld und dem Umgang mit ihr, von Unvorstellbarem, dem man sich stellen muss, um nicht daran zu zerbrechen. Die Hoffnung, die die Täter-Erben eint, ist eine simple: Wenn sie sich mit dem Schrecken auseinandersetzen, möge etwas von der Last abfallen, die sie mit sich herumschleppen. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen wird, für keinen von ihnen. Die Last, das erzählt die Dokumentation, wird nur konkreter, wenn man sich mit ihr befasst. Wegschieben lässt sie sich nicht.

Niklas Frank, Sohn von Hans Frank, dem Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete, hat in zwei Büchern über die Vergehen seiner Familie geschrieben, regelmäßig liest er vor Schulklassen aus ihnen. Müde sieht der Mann aus, der heute selbst Großvater dreier Enkel ist. Müde vom Kampf gegen die Dämonen. "Es ist oft so, dass einer aus der Familie die Vergangenheit stellvertretend für die anderen aufarbeitet und dabei auch immer allein ist", sagt Katrin Himmler. Franks Tochter bestätigt ihrem Vater: "Als du das Buch geschrieben hast, musste ich nicht mehr kämpfen, weil du schon gegen ihn gekämpft hast." Es ist ein Kampf, in dem es keine Sieger gibt, nur Verlierer.

Mit einem Monster verwandt zu sein, das Tausende andere Menschen in den Tod getrieben hat - so richtig begreifen kann das wohl niemand, schon gar kein Kind. Und was man rational begriffen hat, hat man deshalb nicht automatisch emotional erfasst.

Bettina Göring hat sich für eine Sterilisation entschieden, "um keine weiteren Görings zu produzieren". Die Angst, "böses Blut" geerbt zu haben, treibt auch Rainer Höß um, Enkel des Lagerkommandanten in Auschwitz, Rudolf Höß. Für ihn kommt die Erlösung in Gestalt eines Auschwitz-Überlebenden daher, der ihn umarmt und die Worte spricht: "Du hast es nicht getan." Für Höß die schönsten Worte dieser Welt.

"Meine Familie, die Nazis und ich" heute, 23.45 Uhr, ARD