Die große deutsche Psychoanalytikerin starb im Alter von 94 Jahren in einer Frankfurter Klinik

Frankfurt/Main. Sie war die Grande Dame der Psychoanalyse, eine Vorkämpferin des Feminismus und bis zuletzt geistig junge Analystin der Gegenwart: Margarete Mitscherlich ist gestern wenige Wochen vor ihrem 95. Geburtstag in Frankfurt gestorben. Bis zuletzt hielt sie noch gelegentlich psychoanalytische Sitzungen ab.

Als Tochter eines dänischen Arztes und einer deutschen Lehrerin kam Margarete Nielsen 1917 in Dänemark zur Welt. Nach dem Medizin-Studium in München und Heidelberg arbeitete sie vorübergehend in der Schweiz, wo sie Alexander Mitscherlich kennenlernte. Da war der Psychoanalytiker (1908-1982) in zweiter Ehe verheiratet und schon vierfacher Vater. 1955 heiratete das Paar und begründete eine jahrzehntelange Liebes- und Arbeitsbeziehung. Ihre 45 gemeinsamen Jahre mit Alexander seien nicht immer harmonisch gewesen, erzählte Margarete Mitscherlich bei einer ihrer letzten Lesungen. Die Rivalität zwischen den beiden Wissenschaftlern sei "nicht das Problem gewesen, die war lustvoll. Aber die Eifersucht war vorhanden."

Gemeinsam schrieben sie für das Nachkriegsdeutschland prägende Bücher wie "Die Unfähigkeit zu trauern" über die kollektiven Verdrängungsmechanismen der Gesellschaft, einen Schlüsseltext der Studentenbewegung. In ihrem bedeutendsten eigenen Buch, "Die friedfertige Frau", legte Margarete Mitscherlich dar, dass Frauen nicht von Natur aus weniger aggressiv sind, sondern ihr vermeintlich ausgleichendes Wesen nur erlernt haben.

Ihre Bilanz nach fast einem Jahrhundert wirkte bereits zu ihrem 90. Geburtstag fast altersmilde: Aus dem faschistischen Deutschland sei eine stabile Demokratie geworden, eine einst männerdominierte Gesellschaft habe eine Kanzlerin an die Spitze gewählt und die Grundbegriffe der Psychoanalyse kenne inzwischen jeder Taxifahrer. Über sich selbst sagte sie einmal: "Meine Thesen stimmen immer irgendwo auch, sind aber mit einer großen Lust an der Provokation verbunden."