Angehende Gewandmeister der Anna-Siemsen-Schule präsentieren ihre Arbeiten beim “Circus der Kostüme“ als Gala in den Fliegenden Bauten.

Fliegende Bauten. Der Dreiteiler ist fertig zur finalen Anprobe. Nur noch ein paar Kleinigkeiten muss Max Pötzelberger ändern. Der Fadenverlauf am Kragen gefällt ihm noch nicht, ein Teilstück des grau karierten Jacketts wird er noch einmal auftrennen und um ein paar Millimeter versetzen. Der 30-jährige Aschaffenburger ist einer von25 angehenden Gewandmeistern, die in den vergangenen zwei Jahren an der Anna-Siemsen-Schule am Michel die Meisterklasse besucht haben, die einzige in Deutschland. Mehr als 200 Stunden hat er an seinem Meisterwerk gearbeitet. Er musste ein Modell finden, den richtigen Stoff auswählen, Schnitte zeichnen, die einzelnen Teile diesesriesigen Puzzles zuschneiden und dann nähen, nähen, nähen. Einiges mit der Maschine, das meiste aber per Hand.

Am heutigen Sonnabend werden diese Meisterwerke erstmals der Öffentlichkeit gezeigt, beim "Circus der Kostüme" in den Fliegenden Bauten. Auf der Bühne und auf einem Laufsteg werden die aufwendigen Arbeiten in zwei Shows präsentiert. Schon vor einem halben Jahr haben die Absolventen entschieden, ihre Abschlussarbeiten unter das Motto "Zirkus" zu stellen.Eine zierliche Seiltänzerin gehört zu dieser bunten Truppe ebenso wie ein Zauberer, der Joker aus "Batman" oder die stärkste Frau der Welt. Ein Torero wird gegen eine Frau im Stierkostüm kämpfen, ein Funkenmariechen über die Bühne wirbeln, ein Clown seineSpäße machen.

Auch eine Lindy-Hop-Tänzerin wird beim "Circus der Kostüme" die Beine schmeißen. Das Kostüm dazu hat Kristin Hoyer geschneidert. Gefunden hat sie den Entwurf einer italienischen Modedesignerin in einem Fachjournal aus den 50er-Jahren. Unter dem roten Kleid verbergen sich neun Lagen Tüll für den Petticoat, am unteren Saum hat Hoyer etwa 50 weiße Paspeln genäht, schmale Nahtbesätze, die dem Kleid besonderen Pfiff geben. Die Arbeitsstunden kann die aus Leipzig stammende Gewandmeisterin kaum beziffern. "Ich habe teilweise von morgens bis indie Nacht daran gearbeitet", sagt die 30-Jährige. Sie gehört zur Klasse für Damenkostüme, die sich in den Techniken deutlich von der für Herren unterscheidet. Den Unterschied bringt Kristin Hoyer auf eine schlichte Formel: "Perfektes Sakko gegen perfekte Deko."

Wenn um 17 Uhr und um 20 Uhr die Shows auf Bühne und Catwalk laufen, wird eine Reihe von Profis aus den Theatern und Modeateliers im Publikum sitzen. Sie halten Ausschau nach jungen Gewandmeistern, die in der Lage sind, die Entwürfe der Kostümbildner bis auf das i-Tüpfelchen umzusetzen. "Auch wenn das Publikum in der dritten Reihe nicht mehr erkennen kann, ob eine Naht wirklich exakt ist, gehört es doch zum Ethos, perfekt zu arbeiten", sagt Max Pötzelberger. Der bärtige Gewandmeister muss sich um seine Zukunft keine Gedanken machen, er wird in Zukunft das Atelier von Herrn von Eden in Hamburg leiten. Kristin Hoyer würde am liebsten in Hamburg bleiben. Für sie könnte die Kostümgala zum Sprungbrett in eine neue berufliche Zukunft werden. Und ihre Chancen sind nicht schlecht: Ihr rotes Tanzkleid ist ein echter Hingucker.

"Circus der Kostüme" Sa 9.6., 17.00 und 20.00 (ausverkauft), Fliegende Bauten (U St. Pauli), Glacischaussee 4, Karten 18,-/15,-; www.fliegende-bauten.de