Kristen Stewart überzeugt in der Märchenverfilmung “Snow White & The Huntsman“. Als Schneewittchen auf Speed war sie die richtige Wahl.

Lily Collins wird sich mächtig ärgern. Wenige Wochen zuvor konnte man die Sängertochter mit dem Puppengesichtchen als Schneewittchen auf der Leinwand bewundern. Sehr süß war das - und in etwa so spannend, wie einer Schüssel Frittenfett beim Kaltwerden zuzusehen. Nun kommt die zweite Schneewittchen-Neuverfilmung ins Kino, diesmal mit Kristen Stewart in der Hauptrolle, die sich bislang als blasser Unschuldsengel Bella im Vampirerfolg "Twilight" einen Namen gemacht hat. Und während man noch grübelt, was Filmemacher um Himmels willen nur an der Geschichte um die unschuldige Königstochter und ihre Zweckwohngemeinschaft mit den sieben Zwergen reizt, gibt "Snow White & The Huntsman" eine überzeugende Antwort.

Regisseur Rupert Sanders zeigt ein mit Zauberkräften und hohem Leidensdruck beschenktes Schneewittchen in Ritterrüstung - eine Mischung aus Jeanne D'Arc, Lara Croft und Ronja Räubertochter. Überhaupt erinnert die Verfilmung nur noch entfernt an die Vorlage der Brüder Grimm. Die Zwerge sind komödiantisches Beiwerk, so vollbärtig und knubbelnasig wie herzensgut, die böse Stiefmutter ist eine Eispickelkönigin mit hervorstechenden Rippen und schmerzverzerrten Zügen. Charlize Theron gibt die männermordende Rächerin Ravenna so durch und durch verabscheuenswert, dass kein Reißzahnmonster, keiner der Alienwaldbewohner einem auch nur annähernd so viel Furcht einjagt wie ein Krallenschlag dieser Frau, mit der sie jedem das Herz bei lebendigem Leib herausreißt, der Jugend und Leben verkörpert.

Der Australier Chris Hemsworth ("The Avengers") gibt ebenjenen Huntsman, der Schneewittchen gefangen nehmen soll - ein Witwer, Trunkenbold und Riesenschlitzohr -, und sieht dabei aus wie Russell Crowe in Zeiten, als es noch Käseigel und Wählscheibentelefone gab. Der Film drückt von Beginn an mächtig auf die Tube; er besitzt den Geschmack von Abenteuer und Wahnsinn, fegt mit rollenden Köpfen und Handgranaten jegliche Märchenpoesie hinweg - was nicht bedeutet, dass er einer jener hirnlosen Filme wäre, die mit Geballer über ihre fehlende Handlung hinwegtäuschen. Im Kern ist er eine Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz und Identität, bei der es um Leben und Tod geht.

Dass Regisseur Sanders zuvor Werbeclips gedreht hat und hier sein Kinodebüt gibt, wird offensichtlich, wenn der Krähenschwarm sein Flugballett durch die Lüfte zieht, der saugende, schmatzende Wald die knorrigen Astarme der Bäume in den Himmel wirft und das Königsschloss in eine Farbpalette von Düstergrau bis hoffnungsvoll blau schimmernd eintaucht. Die Stimmung ist so unheimlich wie visuell beeindruckend; dass der Zuschauer weiß, wie das grimmsche Märchen ausgeht, tut der Spannung keinen Abbruch. Wer weiße Wasserhirsche, einen Albinobruder und Hulk-ähnliche Wesen in die Verfilmung einschmuggelt, der bringt es auch fertig, ihr das Happy End zu klauen.

Lily Collins, Dakota Fanning, Saoirse Ronan - alle wollten sie diese Märchenrolle spielen, dieses Schneewittchen auf Speed, das einen zwei Kinostunden hindurch in Atem hält. Kristen Stewart war die richtige Wahl.

Bewertung: annehmbar

"Snow White & The Huntsman", USA 2012, 127 Min., ab 12 J., R: Rupert Sanders, D: Kristen Stewart, Charlize Theron, Chris Hemsworth, täglich im Streit's, in den Cinemaxx-/UCI- und Hansa-Studios; http://movies.universal-pictures-international-germany.de/snowwhiteandthehuntsman/