Der Österreicher Michael Haneke gewinnt bereits zum zweiten Mal die Goldene Palme bei den weltweit wichtigsten Filmfestspielen in Cannes

Der Österreicher Michael Haneke ist seit Sonntag Mitglied eines kleinen, exklusiven Klubs von Regisseuren, der mit ihm nun ein gutes halbes Dutzend Mitglieder zählt: Jeder der sieben hat die für Filmliebhaber wichtigste Auszeichnung der Welt, die Goldene Palme von Cannes, zweimal gewonnen.

Die anderen sechs sind der Japaner Shohei Imamura (1983 und 1997), der Serbe Emir Kusturica (1985 und 1995), der US-Amerikaner Francis Ford Coppola (1974 und 1979), der Däne Bille August (1988 und 1992) und die belgischen Brüder Luc und Jean-Pierre Dardenne (1999 und 2005).

Haneke hätte es verdient, außer mit dem "Weißen Band" (2009) auch mit "Caché" (2005) und vor allem mit "Funny Games" (1997) zu gewinnen. Dass ihm vor 15 Jahren die Palme entging, hatte ihm ein einzelner Juror eingebrockt, sein italienischer Regiekollege Nanni Moretti, der sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte.

Nun hat ihm eine Jury, bei der Moretti sogar den Vorsitz führte, die Goldene Palme für "Liebe" zugesprochen. Das kann man als Akt der Versöhnung auffassen, aber auch als konsequente Haltung. Denn das, was Moretti damals so störte, das absolut mitleidslose Menschenbild Hanekes, hat sich in "Liebe" gemildert. Anne, die einen Schlaganfall erleidet, und ihren Mann Georges, der sie bis zum Tode pflegt, verbindet eine auch im Alter nicht erkaltete Liebesbeziehung, die selbst vor dem größten Opfer nicht zurückschreckt.

Die Preislogik von Cannes - kein Film darf mehr als eine Auszeichnung erhalten - hat die weiteren Ehrungen diktiert. Wäre der Hauptpreis an einen anderen Film gegangen, hätte kein Weg an dem 81-jährigen Jean-Louis Trintignant (Georges) oder der 85-jährigen Emmanuelle Riva (Anne) als besten Darstellern vorbeigeführt. So wurden Mads Mikkelsen (als unschuldig der Kinderschändung Verdächtigter) in "Jagten/Die Jagd" sowie Cristina Flutur und Cosmina Stratan (als junge Frauen im Zentrum einer Teufelsaustreibung) in "Dupä Dealuri/Hinter den Bergen" ausgezeichnet, der Däne völlig zu Recht, die Rumäninnen, weil es in diesem Festival der Männer (kein Wettbewerbsfilm stammte von einer Frau) außer ihren keine zentralen Frauenrollen gab.

Die Preislogik von Cannes hat dann noch das Suchen nach einer neuen Erzählsprache belohnt (Carlos Reygadas als bester Regisseur für "Post Tenebras Lux") sowie Matteo Garrones "Reality" und Ken Loachs "The Angel's Share". Bei Letzterem fragt man sich allerdings, weshalb der Jury-Preis den seichtesten Loach-Film seit Menschengedenken prämierte. Es ist unverzeihlich, dass die Jury - in der Nanni Moretti, der Modemacher Jean-Paul Gaultier und der Regisseur Raoul Peck das Wort geführt haben dürften - stattdessen einen von Einfällen überbordenden Film (Leos Carax' "Holy Motors") und den formal stärksten (Ulrich Seidls "Paradies: Liebe") leer ausgehen ließen.

PS: Wir Deutschen sollten nun nicht wieder wie beim "Weißen Band" die Diskussion beginnen, ob mit "Amour/Liebe" ein deutscher Film gewonnen habe, schließlich sei Haneke in München geboren und die Berliner Firma X-Filme Koproduzent. Hanekes Film wurde auf Französisch in Paris mit französischen Darstellern und französischem Geld gedreht. Das gilt auch für die anstehenden Oscar-Nominierungen: "Liebe" ist kein Kandidat für die Eingemeindung durch Deutsche oder Österreicher.