Das Polittbüro bringt Adriana Altaras' deutsch-jüdische Familiensaga “Titos Brille“ auf die Bühne

Polittbüro. Mit Titos Brille ist sie schon durch die ganze Republik gereist, von Flensburg bis nach München. Natürlich handelt es sich dabei nicht um die reale Sehhilfe des ehemaligen jugoslawischen Staatschefs. "Titos Brille" ist eine Metapher für einen Helden. Der Held ist der Vater von Adriana Altaras. Im Widerstand gegen die Nazis hat Jakob Altaras im Zweiten Weltkrieg an der Seite von Tito gekämpft und dessen Brille repariert - wobei Letzteres frei erfunden ist. Altaras hat die Geschichte ihres Vaters oder vielmehr ihrer ganzen Familie aufgeschrieben und im vergangenen Jahr unter dem Titel "Titos Brille" veröffentlicht.

Inzwischen ist diese "Geschichte meiner strapaziösen Familie", so der Untertitel des Buches, in der neunten Auflage erschienen und mit bisher 90 000 verkauften Exemplaren ein Bestseller. Bei ihren Lesereisen durch die Bundesrepublik hat die Schauspielerin, Theaterregisseurin und Autorin 70-mal allein vor Publikum Ausschnitte aus "Titos Brille" vorgetragen. Heute Abend im Polittbüro kann sie diese sehr persönlichen Betrachtungen und Anekdoten mit verteilten Rollen über die Rampe bringen, denn mit ihr werden Gustav Peter Wöhler und Nina Petri auf der Bühne sitzen und spielen. Thomas Ebermann inszeniert die szenische Lesung, für die er zusammen mit der 1960 in Zagreb geborenen Künstlerin eine Textfassung erstellt hat.

Adriana Altaras kam 1967 mit ihrer Familie nach Deutschland. Der Vater war ein angesehener Wissenschaftler und Arzt und gründete in Gießen 1978 die jüdische Gemeinde. Tochter Adriana studierte in Berlin Schauspiel, rief dort ein freies Theater ins Leben, spielte an der Volksbühne und am Maxim-Gorki-Theater und in vielen Kinofilmen, vor allem unter den Regisseuren Rudolf Thomé und Dani Levy. Schriftstellerin wurde sie eher durch Zufall. Nach dem Tod von Vater und Mutter musste sie den Nachlass regeln und fand dabei eine Menge an Dokumenten aus dem wechselvollen Leben ihrer Eltern. Daraus wurde eine Spurensuche, die sie bis in die 30er-Jahre führte und die ihr einen neuen Blick auf die Eltern und nahestehende Verwandte lieferte.

"Titos Brille" beschäftigt sich unter anderem mit dem Überlebenskampf ihrer Eltern. Altaras' Mutter Thea wurde als 17-Jährige in ein unter italienischer Aufsicht stehendes Konzentrationslager auf der Insel Rab eingesperrt und überlebte dort den Krieg.

Adriana Altaras schildert den späteren Kampf ihrer Mutter gegen die Bürokraten in der Bundesrepublik, die ihr nach dem Weggang aus Jugoslawien die deutsche Staatsbürgerschaft verweigern wollten, obwohl sie als Tochter deutsch-ungarischer Juden ein Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik war. "Man hätte doch diesen gebeutelten Nachkriegskreaturen allein aus Dankbarkeit, dass sie überhaupt wieder deutschen Boden betraten, die Staatsbürgerschaft hinterhertragen müssen! Sie großzügig einladen, sie auf Knien bitten müssen, in Deutschland zu bleiben, statt sie mit zentnerschweren Anträgen erneut zu demütigen", empört sich Altaras in ihrem Buch.

Diese schweren Passagen um vergangenes Leid wechseln sich ab mit selbstironischen Betrachtungen über das Judentum mit all seinen jahrhundertealten Ritualen und den Schwierigkeiten einer Jüdin im modernen Deutschland, dessen Vorschriften erfüllen zu können. Es gibt absurd anmutende Passagen über die Bestattung der Mutter, die nach jüdischem Ritus innerhalb von 24 Stunden beigesetzt werden muss, was hierzulande aber kaum möglich ist, zumal nicht an einem Sonntag. Auch die Überlegungen, ob sie ihren Sohn beschneiden lassen soll, entbehren nicht einer gewissen Komik: "Wenn Gott die Vorhaut nicht gewollt hätte, hätte er sie gleich weggelassen", heißt es in "Titos Brille".

Adriana Altaras' amüsante Familiengeschichte befasst sich mit dem komplexen Verhältnis zwischen Juden und Deutschen, sie reflektiert den Umgang mit dem Staat Israel, in dem Altaras als Abiturientin ein paar Monate in einem Kibbuz verbracht hat, aber sie spottet auch über ihr eigenes Faible für gut aussehende blonde, blauäugige Männer. Die Qualität ihrer Geschichte und Ebermanns Textfassung liegen in ihrer Leichtigkeit und ihrem Witz. Zur Lieblingslektüre von orthodoxen Juden zählt "Titos Brille" sicher nicht. Doch Altaras erzählt von positiven Erfahrungen: "Ich habe einmal in einer Synagoge gelesen. Da wurde viel gelacht."

"Titos Brille" heute, 20.00, Polittbüro (U/S Hauptbahnhof), Steindamm 45, Karten 15,-/10,-; Internet: www.polittbuero.de

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