Leopold Hurts Klangstrukturen elektrisieren nicht, die Philharmoniker mit Bruckners “Nullter“ schon

Hamburg. "Objets trouvés", Fundsachen, nennt der junge bayerische Komponist Leopold Hurt Material, das er analysiert, dekonstruiert, in winzige Partikel zermalmt, um daraus neue und neuartige Klangwelten entstehen zu lassen. Bei der Uraufführung seines 15-Minuten-Werks "SEURING/Schalter", einer Auftragskomposition der Hamburger Philharmoniker, bestand das Ausgangsmaterial aus sechs Ländlern für zwei Klarinetten, die der Oberbayer Friedrich Seuring im 19. Jahrhundert zu Papier gebracht hat.

Der Wahlhamburger Leopold Hurt verfolgt dabei hoch komplizierte Verfremdungs- und Schnittverfahren, bezieht elektronische Klänge ein und die von ihm selbst gespielte elektronische Zither, der er im Zusammenspiel mit dem Orchester mit vielfältigen Techniken Töne, Geräusche und rhythmische Strukturen entlockt, die hart gegeneinander geschnitten werden und weit jenseits des typischen Zither-Klangs angesiedelt sind. Hurt sucht Klangerzeugung in einer Struktur, in der "das ganze Orchester zu einer 'Riesen'-Zither mutiert", wie der Komponist in seinem Aufsatz für das Programmheft erläutert. Doch solche komplexen Konstruktionsprinzipien bleiben dem Hörer verborgen, so wie von Seurings Ländlern auch nicht viel Hörbares übrig ist; Hurt hat sie durch ausdauernde Kopfarbeit aufgelöst in interessante, aber am Ende nicht wirklich elektrisierende Klangexperimente - eine Art Filmmusik, bei der im Kopf leider keine Bilder entstehen.

Leos Janaceks bildhafte Orchesterballade "Des Spielmanns Kind" spielt mit spätromantischen Tonbildern und dunkel rumorendem Klangmaterial, das der Komponist immer wieder zu expressionistischen Ausbrüchen öffnet, von den Philharmonikern unter Simone Young klangschön präsentiert.

Der Gipfelpunkt des Konzerts ist nach der Pause Anton Bruckners 1869 entstandene "Nullte Symphonie", komponiert nach seiner Ersten, aber von des Komponisten Strenge ausgesondert, für "ungiltig" erklärt, jedoch zum Glück nicht verbrannt, wie er es mit anderen frühen Werken tat. Hier war die Dirigentin sichtlich in ihrem Element, hier spielten auch die Philharmoniker auf höchsten Niveau, waren bestens intoniert, reagierten auf winzigste Gesten, türmten glasklar-gewaltige Blechbläsergebirge auf, variierten im Streicherklang von brucknerseliger Sämigkeit zu spritzigem Scherzo-Übermut. Großartig - so hätte man's gern auch als verlässlichen Standard im Orchestergraben der Staatsoper.