Eine Betrachtung von Thomas Andre

In einer großen deutschen Tageszeitung hat eine lang gediente Germanistin kürzlich das Verflachen der Lesekultur angeprangert und den Verlust des bildungsbürgerlichen Wissens betrauert: Bald sei, man sieht die herunterhängenden Mundwinkel förmlich, niemand mehr in der Lage, Goethe zu zitieren. Sieht man mal davon ab, dass das Lesen als kulturelle Praxis tatsächlich einen schweren Stand hat, möchte man dem Befund dennoch widersprechen.

Um es mit und gegen Goethe zu sagen: Der Worte sind eben nie genug gewechselt, und deswegen unterliegt unser Zitatenschatz lediglich, wie alles andere auch, dem Wandel der Zeit. Pop-Bildung ist nämlich auch eine Bildung, aber ja doch. Für das gemeinsame Sprechen über unsere Gegenwart, für den sozialen Kitt unserer Gesellschaft sorgen schon lange nicht mehr geflügelte Worte von Schiller oder anderen Geistesgrößen.

Was nicht heißen soll, dass das einprägsame Bonmot aus unserem Zitatenschatz verschwinden soll, ganz im Gegenteil. Aber der rhetorische Bestand aller Kulturkreise ist beweglich; er wird ständig aktualisiert. Und deswegen darf man sich in einer kulturell unterfütterten Verständigung eben auch im weiten Feld der Werbung umtun, die fleißig Slogans produziert. Viel schöner ist es allerdings, wenn man sich bei der Hamburger Pop-Band Deichkind bedient. Deren Zitat des Jahres ist so ziemlich das Gegenteil von Goethe, aber "leider geil".