Der Hamburger Regisseur Fatih Akin zeigt beim Filmfestival in Cannes seine kritische Langzeitdokumentation “Müll im Garten Eden“.

Hamburg. Heute beginnt das Filmfestival in Cannes. Fast schon traditionell sind nur wenige deutsche Filmemacher an die Côte d'Azur eingeladen. Der einzige Regisseur aus unseren Landen, der mit einem langen Film vertreten ist, kommt aus Hamburg. Fatih Akin bleibt sich treu und hat nach seiner Erfolgskomödie "Soul Kitchen" wieder einmal die Pferde gewechselt. Sein Film "Müll im Garten Eden" ist eine Langzeitdokumentation über einen Umweltskandal. Über mehrere Jahre hat er beobachtet, wie in dem idyllischen kleinen türkischen Schwarzmeerort Camburnu eine Mülldeponie entstanden ist. Das Dorf liegt ihm besonders am Herzen, denn dort hat sein Großvater gelebt. Der Film kommt Ende des Jahres in die deutschen Kinos.

Hamburger Abendblatt: Sie fahren zum dritten Mal mit einem eigenen Film nach Cannes. Haben Sie die Koffer schon gepackt?

Fatih Akin: Es wird diesmal wohl eher eine Sporttasche.

Warum?

Akin: Wir laufen in der Nachmittagsvorstellung. Dafür brauche ich keinen Smoking.

Tragen Sie den eigentlich gern? Man kennt Sie sonst eher in T-Shirt und Kapuzenpullover.

Akin: In Cannes genieße ich es, sonst nicht.

+++ Das Filmfestival in Cannes +++

Mit welcher Erwartungshaltung reisen Sie nach Frankreich?

Akin: Weiß ich gar nicht so genau. Ich habe gerade den Kopf so voll mit anderen Dingen. Und dann kommen auch noch meine Eltern dorthin, denn der Film spielt im Heimatdorf meines Vaters. Meine Eltern fanden bisher meine Dokumentarfilme recht langweilig.

Das Dorf Camburnu ist ein Teil Ihrer Familiengeschichte. Was hat der Film verändert?

Akin: Ich habe begriffen, dass dort einige meiner Wurzeln liegen, zumindest die genetischen. Wenn ich mir die Physiognomie der Leute ansehe, stelle ich fest: Die sehen mir ähnlich. Mich hat beeindruckt, wie klar und pragmatisch die Menschen in ihrem Widerstand gegen diese Mülldeponie aufgetreten sind. Sie leben dort sehr im Einklang mit der Natur, fast wie Indianer.

Das sagt ein bekennender Großstädter ...

Akin: Ich könnte dort auch nicht wohnen. Auf Dauer wäre es mir dort doch zu klein. Man wird in der Stadt durch Trends wie Gentrifizierung oder Globalisierung ja auch verdorben. Und dann kommt man in dieses Dorf und trifft auf etwas, was seit Jahrhunderten schon Bestand hat. Und doch sind die Menschen modern, gebildet und empathisch. Aber auch von dort gehen junge Leute in die Großstädte.

Die Müllkippe in Camburnu verstößt gegen Sicherheitsauflagen und gefährdet die Umwelt. Fast scheint es so, dass Müll die Menschen zu Heimlichtuereien provoziert. Das kennen wir auch bei uns.

Akin: Man muss nur an Gorleben denken oder an Fukushima. Da kommt wohl ein kindliches Denken durch. Das erinnert mich an Kinder, die es auch nicht zugeben wollen, obwohl sie die Hose schon lange voll haben. Diesen infantilen Reflex sind wir irgendwie noch nicht losgeworden. Der Müll ist ja schließlich der Kot der Gesellschaft.

Ursprünglich wollten Sie mit diesem Film die Errichtung der Deponie verhindern. Das hat nicht geklappt. Kommt man gegen die Institutionen mit einem Film nicht an?

Akin: Der Film handelt davon, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Man sollte nicht resignieren, nur weil man eine Schlacht verloren hat. Die Niederlage kann Gutes bewirken und Menschen zum Reflektieren ermutigen. Vor allem gilt das für Zuschauer aus der Türkei, aber die Geschichte des Dorfes ist auch symbolisch.

Der türkische Umweltminister, den Sie zu der Thematik befragen wollen, hat Sie aus seinem Büro verwiesen. Das klingt, als hätte er ein schlechtes Gewissen gehabt.

Akin: Er war kein Umweltminister, wie es hier Klaus Töpfer oder Jürgen Trittin waren. Mich hat er eher an Sarkozy oder Berlusconi erinnert. Er war in Umweltfragen gar nicht so versiert, sondern hatte den Posten eher zufällig bekommen, ein Karriere-Politiker eben. Er hat zu mir gesagt, du hast von Müll keine Ahnung. Mach Dinge, von denen du etwas verstehst, und dreh Filme. Das habe ich jetzt gemacht. Bitte schön!

Haben Sie vor Ort nur Zustimmung erfahren, oder sind Sie auch Leuten begegnet, die Sie aufgefordert haben, sich eher um den Dreck vor Ihrer eigenen Haustür zu kümmern?

Akin: Diese Reflexe kommen in der Türkei sehr schnell, wenn es um Kritik geht. Besonders wenn es Kritik von außen ist. Aber das ist ein Scheinargument. Wer seinen eigenen Boden beschmutzt, kann nicht patriotisch sein. Ich lasse das auch deshalb nicht zu, weil ich mich als Teil des Dorfes sehe. Einige wollen Kritik nicht dulden, aber Kritik ist die einzige Macht der Beherrschten. Wenn ich mit meinen Filmen Erfolge feiere, bin ich ihr Mann im Ausland, ihr Mesut Özil, der für sie die Tore schießt. Dann müssen sie von mir auch Kritik ertragen.

"Müll im Garten Eden" ist eine Langzeitdokumentation. Das haben Sie vorher noch nie gemacht. Was nehmen Sie an Erfahrungen mit?

Akin: Es ist eine andere Sportart als der Spielfilm. Mit einem kleinen Team mit kleinen Digitalkameras zu arbeiten verführt dazu, Tonnen von Material zu drehen. Wir hatten 200 Stunden. Mithilfe meines Cutters Andrew Bird habe ich daraus eine stimmige Struktur schaffen können. Ich könnte in Zukunft aber noch effektiver arbeiten, wenn ich mir vorher genauer klarmachen würde, was ich wie umsetzen will.

Sie sind der einzige Filmemacher aus Deutschland, der einen langen Film in Cannes am Start hat. Was ist mit den anderen deutschen Regisseuren?

Akin: Ich habe mir vor Kurzem die Kiste der Deutschen Filmakademie mit den besten Filmen des vergangenen Jahres angesehen. Der Endzeit-Thriller "Hell" von Tim Fehlbaum hat mir sehr gut gefallen. Auch mehrere Dokumentarfilme. Die hätten in Cannes eigentlich auch laufen können. Ich weiß nicht, was uns da noch fehlt. Es wundert mich schon, dass keine anderen Filme deutscher Regisseure dabei sind.

Sie haben die Deutsche Filmakademie in der Vergangenheit häufig kritisiert und sind dort schließlich ausgetreten. Die Kiste mit den besten deutschen Filmen bekommen aber doch nur Mitglieder. Was ist passiert?

Akin: Hark Bohm hat "Schuld". Er hat meinen Cutter Andrew Bird und mich zu einem Workshop eingeladen, bei dem wir vor Kollegen erklärt haben, wie wir im Schnitt zusammenarbeiten. Das machen wir schon seit meinem ersten Film. Ich wusste gar nicht, dass die Akademie auch so etwas veranstaltet. Ich dachte, es geht nur darum, wer welche Lolas gewinnt. Wir sind dort so nett empfangen worden, dass ich wieder eingetreten bin.

Wen würden Sie in Cannes eigentlich gern treffen?

Akin: Vielen meiner Helden bin ich dort schon begegnet. Auf den französischen Kollegen Jacques Audiard wäre ich neugierig. Den Rumänen Cristian Mungiu kenne ich zwar schon, aber mit dem würde ich mich gern einmal länger unterhalten. Und ich würde gern mal Kirsten Dunst treffen. In Hamburg habe ich das bisher noch nicht geschafft.