Hamburg. Was zurzeit beim NDR Sinfonieorchester passiert, grenzt an ein Wunder. Egal ob Thomas Hengelbrock dem Abopublikum statt des üblichen Zehn-Minuten-Petersilienblättchens Neue Musik im Maul des symphonischen Karpfens gleich eine solide halbe Stunde zeitgenössische Hardcore-Spätromantik von Jörg Widmann zumutet, ob er britischen Frühbarock von Henry Purcell bietet oder ein scheinbar so sicher kartografiertes Gelände wie Schumanns "Rheinische" Sinfonie neu ausmisst: Zurzeit machen seine Musiker mit allem eine schier unglaublich gute Figur.

Am Freitag sprang der vibrierende Geist des Orchesters, bei dem bis ins letzte Pult hinein mit ungekannter Verve gespielt wird, rasch auf den voll besetzten Saal der Laeiszhalle über. Klar, bei einem Brocken wie Widmanns "Teufel Amor", diesem Wogen und Wüten, das mit seinen fließenden und sprühenden Klangmassen eher an eine Skultpur aus der bildenden Kunst denken lässt, gibt es keine Routine, da ist alles neu. Aber auch Purcells "Dido und Aeneas" (1689) ist neu für das Klein-Ensemble, auf das sich der große Orchesterapparat anschließend verschlankte.

Faszinierend, mit wie viel gewachsenem Selbstvertrauen die Musiker im Jahr eins von Hengelbrock bei Barock-Repertoire schon jetzt zu Werke gehen. Kate Lindsey sang aufregend schön und regelte ihren Mezzo manchmal so bis zum Flüstern herunter, dass einem der Atem stockte. Und auf der "Rheinischen" lag nicht ein Körnchen Staub. (Musik-)Liebhaber dieser Stadt: Hört auf dieses Orchester!