Die “Völkerschauen“ sind Thema einer internationalen Studie

Hamburg. Sieben Jahre alt war Ralph Giordano, als er 1930 auf dem Hamburger Dom sogenannte "Lippen-Neger" sah, die dort ausgestellt wurden. In einem Interview erinnert er sich jetzt daran, dass er diese Menschen damals nur als exotisch empfunden hat. Der menschenverachtende Charakter der Zuschaustellung wurde dem Schriftsteller erst später bewusst.

Im Museum für Völkerkunde stellte der Verlag Crieur Public gestern eine umfangreiche historische Studie zu den sogenannten "Völkerschauen" vor, die vom frühen 19. Jahrhundert bis in die 1930er-Jahre in vielen europäischen und amerikanischen Städten gezeigt wurden. Im Rahmen eines groß angelegten Forschungsprojekts schrieben 33 Autoren für die Publikation "MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit" Beiträge zur Geschichte der "Völkerschauen".

Hamburg spielt darin eine besondere Rolle: Ab 1874 hatte der Tierhändler Carl Hagenbeck seinem Publikum in einer "anthropologisch-zoologischen Ausstellung" auch Menschen öffentlich präsentiert und damit ein neues Geschäftsfeld gefunden, das europaweit Schule machte. Dass die Menschenwürde auf der Strecke blieb, liegt auf der Hand, die Studie stellt jedoch auch heraus, dass die "Menschenzoos", die mehrere Hundert Millionen Besucher anlockten, zur Herausbildung rassistischer Ressentiments führten. Das Buch, dessen französische Ausgabe 2011 parallel zu einer Ausstellung im Pariser Musée du Quai Branly erschien, sorgte für erhebliches Aufsehen, weil das Thema in Frankreich kaum bekannt war.

In Deutschland und speziell in Hamburg ist das etwas anders: Bereits 1989 waren die hagenbeckschen "Völkerschauen" Gegenstand einer umfangreichen Studie, auch später wurden sie in mehreren Publikationen kritisch dargestellt. Der Vorzug des jetzt erschienenen Bandes ist vor allem der umfassende Ansatz, mit dem die "Völkerschauen" und ihre fatalen Auswirkungen als internationales Phänomen der westlichen Zivilisation analysiert werden.

"MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit", Crieur Public, 512 S., 34,99 Euro