Der Großkünstler des Pop Peter Gabriel lieferte einen konzertanten Höhepunkt bei den 10. Movimentos Festwochen der Autostadt in Wolfsburg.

Wolfsburg. Wenn ein Großkünstler des Pop plötzlich mit Orchester reist, wittern viele eine späte Schaffenskrise. Ob Sting oder Peter Gabriel, irgendwann packt die Stars die Lust aufs Sinfonische. Nicht alle Fans folgen ihnen bereitwillig. Wenn allerdings Peter Gabriel vor knapp 1000 Zuschauern im denkmalgeschützten Kraftwerk auftritt, wollen alle dabei sein. In diesen exklusiven Genuss kamen an zwei Abenden die Besucher der "New Blood Live"-Tour des Briten bei den 10. Movimentos Festwochen der Autostadt in Wolfsburg. Beide waren innerhalb von drei Stunden ausverkauft.

Der inzwischen 62-Jährige verströmt mit Bart, kahlem Schädel und Rundbauch nach heißblütigen jungen Jahren die Grandezza eines Schamanenpriesters. Beifall tost ihm entgegen, bevor er einen Ton gesungen hat. Eindrucksvoll verschränken sich die eleganten Multivisionen der LED-Wand mit dem dahinter liegenden 50-köpfigen New Blood Orchestra, das die Bühne bis zum letzten Platz ausfüllt.

Tatsächlich gewinnen die Gabriel-Songs, voluminös arrangiert von John Metcalfe, vom dramatischen Trennungssong "Digging In The Dirt" über die Hymne "San Jacinto" bis zum beunruhigenden "The Rhythm Of The Heart" eine wunderbar ausdifferenzierte Tiefe und Feierlichkeit.

Der Sänger brummt am Anfang noch recht unverständlich mit seinem heute tieferen Organ, wärmt sich aber schnell auf. Gabriels Tochter Melanie und Sängerin Rosie Doonan setzen stimmlich sanfte Kontrapunkte. Dramatische Songs von fast jenseitiger Schönheit wie "Signal To Noise" oder "Blood Of Eden" werden von Gassenhauern wie dem kämpferischen Befreiungssong "Biko", den Gabriel noch immer mit geballter Faust gibt, oder dem leichtfüßigen Pop-Klassiker "Red Rain" konterkariert. Nur "Solsbury Hill" löst in diesem Kontext befremdliche Mitklatschorgien aus. Mit der Devise "No Guitar, No Drums" ist jetzt aber erst mal Schluss. Der Meister hat verkündet, unbedingt ein Pop-Album einspielen zu wollen. Die Besucher des Kraftwerks dürften diesen Abend in seiner Intimität nicht so schnell vergessen.

+++ Movimentos-Festwochen starten in Wolfsburg +++

Die altehrwürdige Industrieanlage wird nur einmal im Jahr zu Festwochenzeiten für Besucher geöffnet. Vor Peter Gabriel sorgten mit Sting, B.B. King oder Kraftwerk musikalische Schwergewichte für exklusive Konzerterlebnisse. Die Movimentos Festwochen steuern nach einem vielversprechenden Start auf einen neuen Besucherrekord zu. Im vergangenen Jahr kamen 29 000, in diesem dürften es noch etwas mehr sein. Viele Veranstaltungen waren frühzeitig ausverkauft.

Beim Tanz setzen die Festivalmacher Maria Schneider und Bernd Kauffmann erneut auf eine gelungene Vielfalt. Zur Eröffnung sorgte das Béjart Ballet Lausanne mit "Le Sacre du Printemps" und "Feuervogel" von Strawinsky und dem "Boléro" von Ravel für einen Glanzpunkt. Um 1960 von dem vor vier Jahren verstorbenen Maurice Béjart geschaffen, zehren die Choreografien von ihrem historischen Wert.

Der derzeit stark gefragte Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui mutete seinen Zuschauern in "TeZukA" eine postmoderne Bildergeschichte zu, in der er japanische Mangas des Großmeisters Osamu Tezuka (1928-1989), die auf Gedanken der Atomkriegsapokalypse rekurrieren, mit tänzerischem Minimalismus, Kalligrafie, Lesung und Musik verband. Ein vielfältiges modernes Repertoire hat die kubanische Vorzeigetruppe Danza Contemporánea de Cuba vorzuweisen. Ihr munterer Mix aus afro-karibischen und spanischen Elementen und zeitgenössischem Tanz mit Choreografien von Rafael Bonachela, George Céspedes und Kenneth Kvarnström kam an. Letzterer spießte in einem separaten Festwochenbeitrag in sieben Szenen das Entstehen einer Choreografie ironisch auf.

Die Lesungen mit Prominenten wie Ulrich Matthes oder Thomas Thieme sind ohnehin ein Renner. Aber auch das erweiterte Jazz-Programm, das weniger auf Stars als auf Hoffnungsträger setzt, findet sein Publikum. Movimentos bleibt auch im zehnten Jahr seinem Prinzip, Qualität mit Neuentdeckungen zu verbinden, treu und lädt die erweiterte Region im Dreieck Hamburg, Berlin und Hannover dazu ein. Die Festwochen laufen noch bis zum 20. Mai.

10. Movimentos Festwochen der Autostadt bis 20.5., Autostadt in Wolfsburg, Karten unter T. 0800/288 67 82 38; www.movimentos.de