Samuel Mueller griff sich im Supermarkt die Fertiggerichte, deren Verpackungen den größten Genuss versprachen. Ein Vergleich von Schein und Sein.

A lles fing an mit einem Big Mac. Samuel Mueller war mit seiner Freundin bei McDonald's und wollte ge- rade seinen Burger essen, da fiel sein Blick auf die Werbetafel an der Wand. Seine Mahlzeit sah da ganz anders aus. Irgendwie appetitlicher. Damals, sagt Mueller heute, habe er kurz an ein neues Kunstprojekt gedacht.

Mueller, 31, lebt in Berlin, hat das Fotografieren im Rahmen einer Fotolaboranten-Ausbildung bei der Bundeswehr gelernt. Seit seinem Philosophiestudium macht er Fotoprojekte. Aber damals, als er seinen Big Mac betrachtete, war das Projekt nur ein Gedanke.

Als seine Freundin schwanger wurde und ihr beim Geruch von Essen schlecht wurde, musste Samuel Mueller selbst in der Küche ran. Kochen gehört nicht gerade zu seinen Stärken, deshalb musste er Fertiggerichte kaufen. Er hatte Hunger - das war die Chance, das Kunstprojekt zu verwirklichen.

Mueller ging in den Supermarkt und schaute sich die Verpackungen an. Was am leckersten aussah, kaufte er. Zu Hause bereitete er das Essen nach Packungsanleitung zu - in der Mikrowelle, im Wasserbad, in der Pfanne. Manchmal musste er die Packung auch nur aufreißen. Dann fotografierte er die Gerichte ab. Bei der Gegenüberstellung gab er sich viel Mühe: Alles sollte so aussehen wie auf der Verpackung.

Das, was Samuel Mueller in den Verpackungen fand, ist mittlerweile in seinem Bildband "Werbung gegen Realität" (Eichborn Verlag, 14,99 Euro) zu sehen. "Es ging mir nicht darum, zu zeigen, dass das Essen keine Qualität hat. Ich wollte zeigen, mit welchen Methoden die Lebensmittelkonzerne ihre Produkte bewerben", sagt Mueller.

Da sind die "Hacksteaks mit Speckkartoffeln, Möhren, Erbsen und herzhafter Sauce", nach vier bis fünf Minuten Mikrowelle soll das Gericht fertig sein. Die Steaks kann man auf Muellers Foto nicht finden, sie sind abgetaucht in der beschriebenen herzhaften Sauce, auf der viele golden glänzende Fettaugen schwimmen. Spaghetti Carbonara sind laut Hersteller "einfach lecker!" - auf dem Foto sehen sie wie grauer Brei aus. Und die Pfefferminzfüllung der Tafel Schokolade macht laut Verpackung fast die Hälfte eines Riegels aus - im Realitäts-Check kann man sie kaum sehen, wenn man einen Riegel abbricht.

Samuel Mueller hat sich mit den Methoden von sogenannten Foodstylisten beschäftigt. "Wenn man Essen schönfotografieren möchte, wird viel mit Chemikalien und Styropor gearbeitet, damit die Lebensmittel in Form bleiben", sagt er. Mit dem Hinweis "Serviervorschlag" sichern sich die Hersteller gegen Reklamationen ab.

Nachdem Mueller erste Bilder im Internet veröffentlicht hatte, bekam er sogar Mails von Foodstylisten. Überraschenderweise waren dies keine Hass-Mails. Nein: "Sie fanden mein Projekt gut. Und sie haben mich gefragt, ob sie meine Fotos zur Ausbildung von Studenten nutzen dürften. Weil sie ihnen zeigen wollten, dass man aus den von mir vorgestellten Gerichten auch schöne Fotos machen kann." In gewisser Weise ist Mueller so zum Helfer der Lebensmittelindustrie geworden.

100 Fertigprodukte hat Samuel Mueller abfotografiert. Gegessen hat er sie alle. Schließlich hatte er Hunger, und Essen wegschmeißen kann er nicht. Ob die Gerichte so geschmeckt haben, wie sie aussahen, kann er abschließend nicht feststellen. "Einige Sachen waren schlecht, andere waren gut."

Mittlerweile ist das Projekt abgeschlossen, Mueller ist zweifacher Vater, seine Freundin kocht wieder. Mueller sucht jetzt einen Ort, wo er seine Bilder ausstellen kann, Hamburg wäre nicht schlecht. Aber manchmal, sagt Samuel Mueller, läuft er noch durch die Supermärkte und betrachtet die Verpackungen. Und fragt sich, was da wohl drin ist.