Im Berliner Verlagshaus wurde mit einer Revue an den großen Gründer erinnert. So komisch, leidenschaftlich, wahrhaftig wie sein Leben.

Berlin. Natürlich weiß man, was sie sich erwartet hatten: der Bundespräsident und der Bundesfinanzminister, der Regierende Bürgermeister von Berlin und der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, die vielen Botschafter, Unternehmer, Intendanten und all die anderen, die gestern ins Berliner Springer-Haus gekommen waren, um den 100. Geburtstag des Verlagsgründers zu begehen: Reden, Reden und noch mehr Reden! Diese gepflegte Langeweile wollte man gestern nicht. Zum Hundertsten wollte man keine Denkmalsverehrung mehr, sondern eine Wiederbegegnung mit dem Menschen Axel Springer. "Das Leben als Revue", meinte Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende, im Prolog, "passt besser zu Ihnen, fanden wir." Denn schließlich sei dieses Leben mal komisch, manchmal großspurig, niemals kleinkariert, leidenschaftlich, bunt, klug und unterhaltsam, leise und laut, wahrhaftig und widersprüchlich gewesen. "Wie Ihre Blätter!" Der Vorstandsvorsitzende spielte sich selbst. Und entwarf, ganz locker über ein Notebook gebeugt, einen fiktiven Brief an den Verleger, den er persönlich nicht mehr kennengelernt hatte.

Titel des Stücks: "100 Jahre in 100 Minuten". Axel Springer im Zeitraffer. Szenen mit Musik - frech, ironisch, schnell. Die Zeitreise startet 1947. Axel Springer (Herbert Knaup) wird bei den britischen Militärbehörden vorstellig, um Lizenzen zu beantragen. Die sind begehrt, und den Alliierten hängen die geschönten Lebensläufe der Deutschen längst zum Hals heraus. "Und, von wem wurden Sie so verfolgt?", will der britische Presseoffizier vom jungen Verlagsgründer wissen. Springers Antwort: "Nur von den Frauen." Der Rest ist Geschichte, denn damit beginnt Springers Aufstieg zum erfolgreichsten und umstrittensten Verleger Europas. Die Revue, die St.-Pauli-Theater-Chef Ulrich Waller mit Benjamin von Stuckrad-Barre und Peter Huth geschrieben und selbst in Szene gesetzt hat, erlöst Springer tatsächlich "aus dem Klischee-Kerker" (Stuckrad-Barre).

+++ Erinnerungen an Axel Springer +++

Am besten ist sie da, wo sie den privaten Springer aufs Korn nimmt. Zum Beispiel den Charmeur, der keine Hemmungen hätte, anderen Männern ihre Frauen auszuspannen; was einen der traurigen Verlierer zu dem Schwur veranlasste: "Bevor ich wieder eine heirate, stelle ich sie Herrn Springer vor, um zu sehen, ob sie ihm gefällt!" Oder den verhinderten Opernsänger, der plötzlich anfängt, "Ich küsse Ihre Hand, Madame" zu singen.

Wallers Revue führt Großtaten und Fehler vor, arbeitet Licht und Schatten dieser Jahrhundertfigur heraus. Springers durch nichts zu erschütternden Einsatz für die deutsche Wiedervereinigung, seinen Einsatz für die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden, die scharfe, ja unerbittliche Konfrontation mit der Studentenbewegung.

Zur angeborenen Autorität ("Wenn wir etwas verabreden, dann will ich auch, dass es so gemacht wird, Sie Flanellmännchen!") kommen mal Ennui ("Ich habe keine Lust mehr. Ich werde den Verlag verkaufen, ich werde alles verkaufen. Alles!"), mal Allmachtsfantasien ("Also, wenn das gelingt, werde ich Außenminister!"), mal Enttäuschung ("So beliebt wie in Israel möchte ich mal in Deutschland sein ...").

Roter Faden der munteren Story ist Springers lebenslange Freundschaft mit "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein, der Springer allerdings schwer enttäuscht, als er es 1958 ablehnt, mit ihm nach Moskau zu reisen, wo Springer den Kremlchef Nikita Chruschtschow dazu bewegen will, der deutschen Wiedervereinigung zuzustimmen. Köstlich, wenn Springer mit seiner damaligen Frau Rosemarie, seinem Getreuen Christian Kracht und "Welt"-Chefredakteur Hans Zehrer vor dem Kreml auf einer Bank sitzt. Alle sind vom Warten zermürbt und mutlos. Das hört sich dann so an: "Und, was steht heute auf dem Programm?" - "Bolschoi." - "Ach, nee!" - "Nicht schon wieder!" - "Gestern warn wir in 'Schwanensee', vorgestern im 'Dornröschen', davor im 'Nussknacker'. Nee ..." Man möchte fast nicht glauben, dass diese Premiere auch schon die Derniere gewesen sein soll. Knaup, der während der Proben bekannte, über Axel Springers Leben vorher so gut wie nichts gewusst zu haben - "Da gab es jede Menge Vorurteile" -, macht seine Sache einfach großartig; ihm zur Seite stehen so wunderbare Schauspielerkollegen wie Peter Jordan (Rudolf Augstein), Rainer Brandt (Erich Mielke) und Leslie Malton (Friede Springer).

Ulrich Waller, der sich für die Revue durch Berge von Texten und Filmaufnahmen gearbeitet hat, gibt inzwischen zu, dass Axel Springer doch um einiges vielschichtiger gewesen sei, als er früher gedacht habe: "Man hätte ihm gegönnt zu erleben, wie sich das Verbissene, Eingemauerte, Verbitterte in ihm auflöst, das ihn in seinen letzten Jahren geprägt hat. Ich glaube, Springer wäre der Erste gewesen, der sich selbst noch einmal neu gedacht hätte." Nun, Waller ist Theaterdirektor. Im Prinzip wäre es also ein Leichtes, auch noch andere Zuschauer dazu zu animieren, "sich dieses Leben noch einmal frisch anzugucken" (Benjamin von Stuckrad-Barre).

Bleibt noch nachzutragen, dass es zum großen Vergnügen der 1000 geladenen Gäste in Berlin einen Kurzauftritt von Udo Lindenberg gab, der sein traurig-optimistisches Lied "Mädchen aus Ostberlin" sang. Das war einfach nur schön.