Wer plant unsere Stadt? Der Hamburger Designprofessor Friedrich von Borries über Bürgerbeteiligung anlässlich der Architekturbiennale Rotterdam.

Hamburg/Rotterdam. Mitten in Rotterdam verwandelt sich ein Gebäudeblock. Eigentlich sollte das Gebäude aus den 60er-Jahren abgerissen werden, nun haben sich Kreative eingenistet: Auf dem Dach entsteht eine Farm, in der Gemüse angebaut und Bienen gezüchtet werden, es gibt einen Biergarten, und man kann Stadtmöbel aus Müll basteln. Eine Fußgängerbrücke wird auch gebaut, der Gewinner des Wettbewerbs wurde in öffentlicher Abstimmung ermittelt. Finanziert wird der Bau aus Kleinspenden.

Das Projekt ist Teil der jüngst eröffneten 5. Internationalen Architekturbiennale in Rotterdam. "Making Cities" lautet der Titel der Schau, die neue Formen der Stadtplanung präsentiert. Und da steht Bürgerbeteiligung ganz oben auf der Agenda. Denn die derzeitige globale Urbanisierung, so Biennaledirektor George Brugmans, bringe großepolitische, soziale, ökonomische und ökologische Herausforderungen mit sich, für die Planer und ArchitektenLösungen finden müssen. Und die kommen aus den kreativen Milieus der Städte, denn, so die Botschaft der Biennale: "The City is not the problem, but the solution." 35 Projekte aus 25 Städten haben die Ausstellungsmacher zusammengestellt, Best Practice aus Paris, New York und Delhi - und natürlich auch aus den Niederlanden, schließlich ist die Biennale gleichermaßen eine Werbemaßnahme für das Exportprodukt "niederländische Architektur".

Aus Hamburg wird kein Projektbeispiel gezeigt. Ob das daran liegt, dass, wie Brugmans betont, dabei "Standardlösungen" keine Hilfe seien, sondern in "wechselnden Allianzen die Balance zwischen sozialer Agenda und ökonomischen Ambitionen" neu ausgehandelt werden müsse? Daran kann es nicht gelegen haben, schließlich ist in Hamburg in den letzten Jahren so einiges passiert, das auch im internationalen Kontext spannend ist. Damit sind nicht Projekte wie die HafenCity gemeint, in denen hohe Mieten und Leerstand nicht gerade eine Balance von Zielen und Notwendigkeiten widerspiegeln, und auch nicht Großprojekte wie die Zukunftsbrache Elbphilharmonie. Sondern eher die IBA, bei der der Grat zwischen sozialen Anforderungen und ökonomischen Rahmenbedingungen aufregend schmal ist.

Und natürlich das Gängeviertel, schließlich hat sich hier eine großeAllianz aus bürgerlichem Hamburg und linksalternativer Künstlerszene zusammengetan, um ein Quartier den üblichen Verwertungsformen der Stadtentwicklung zu entziehen.

+++ Die Gängeviertel-Sanierung beginnt Anfang 2013 +++

An vielen Orten ist eine neue Lust der Bürger am Selbermachen zu entdecken. Die "Do it yourself"-Mentalität springt vom Privaten zur Ebene desÖffentlichen, urbane Brachen werden besetzt und von den Bewohnern selbst gestaltet. Das klappt natürlich vor allem im Grünraum gut, wie in Berlin dasinternational viel beachtete Projekt "Prinzessinnengärten" zeigt. Aber auch in Hamburg gibt es dafür erste zarte Pflänzchen. "Gartendeck" heißt eine Initiative, die in der Großen Freiheit einen mobilen Garten errichtet hat, inAltona wird im Volkspark gemeinschaftliches Gärtnern vom Tifu-Verein erprobt. Nun hat in Hamburg auch die öffentliche Verwaltung das Potenzial der interessierten Bürger entdeckt und ruft eine "Stadtwerkstatt" ins Leben, mit der eine neue Planungskultur erreicht werden soll. Entscheidungsprozesse sollen transparenter werden, die Bürger sollen "gemeinsam mit Planern und Vertretern der Stadt Lösungsansätze für aktuelle Probleme und Herausforderungen Hamburgs entwickeln". Kommenden Freitag wird das Ganze in einer Auftaktveranstaltung auf Kampnagel von Olaf Scholz vorgestellt.

Doch sowohl Ausstellungen wie "Making City" als auch löbliche Vorhaben wie die "Stadtwerkstatt" greifen perspektivisch zu kurz. Denn sie hinterfragen nicht, woher das gegenwärtige Bedürfnis an Stadt und deren Gestaltung kommt, warum Menschen aufdie Straße gehen, um ein Viertel vor dem Zugriff von Investoren zu retten, warum sie in ihrer Freizeit in einem öffentlichen Park mit anderen gärtnern.

Wir leben in einer Zeit zunehmender Abstraktion. Jeder weiß, dass die europäische Finanzkrise fatale Auswirkungen hat, aber kaum einer versteht Ursachen und geplante Gegenmaßnahme - schon die bekannten Zahlendimensionen entziehen sich der Vorstellungskraft. Wir alle wissen, dass der Klimawandel fatale Auswirkungen haben wird, aber waren der kalte Winter, der verregnete Sommer, das heftige Gewitter schon eine Folge des Klimawandels oder doch nur einfach schlechtes Wetter? Die Folgen und Ursachen der großen politischen Fragen der Gegenwart - Wirtschaftskrise, Klimawandel, Migrationspolitik - entziehen sich der individuellen Erfahrbarkeit. Genau deshalb ist "Stadt" für viele ein wichtiges Thema geworden: Hier sind die Verwerfungen der Gegenwart konkret ablesbar, ein direkter Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erlebbar. In einer Zeit, da immer mehr politische Entscheidungen auf supranationale Ebene verlagert werden, kann dem Lokalen ein tatsächlich politisches Gewicht zuwachsen. Doch das Spannungsfeld, das durch die Differenz von großmaßstäblichen Zusammenhängen und eher kleinmaßstäblichen Aktionsräumen entsteht, wird meist mit Partizipationsdekoration zugekleistert. Ein Begriff ist verräterisch: "Mitspracherecht". Vor dem Hintergrund, dass (laut Grundgesetz) alle Gewalt vom Volke ausgeht, erscheint ein "Mitspracherecht" eher als Verhöhnung denn alsdemokratische Kultur.

Dabei geht es nicht nur um die Frage, wer wie bei der Stadtentwicklung mitentscheiden darf, sondern vor allem darum, wohin sich die Stadt eigentlich entwickeln soll. Es geht also zum einen um ökonomische Fragen und um den Umgang mit Ressourcen und die Anpassung an und Vermeidung von Klimawandel. Aber in gewisser Weise sind dies geradezu technische Fragen. Denkt man über die Zukunft von Stadt nach, so erschöpft sich die Debatte nicht in symbolischen Beteiligungsverfahren für pragmatische Entscheidungen. Es gibt eine viel grundsätzlichere Ebene: Die Stadt als Ort, mit dem Menschen sich identifizieren können, kann auch Keimzelle einer zukünftigen globalen Demokratie sein. Vor 20 Jahren erklärte Saskia Sassen das Entstehen der Global Cities als Knotenpunkte eines globalen Wirtschaftsnetzes. Diese Städte beschrieb sie als autonome Akteure, deren Bedeutung die von Nationalstaaten übertreffe. Vielleicht ist das auch die Zukunft der globalen Demokratie: ein Netzwerk von Städten, in denen Demokratie kein mediales Placebo ist, sondern unmittelbarer lebbar. Nicht umsonst hat die Demokratie ihre Wurzeln in der Stadt, nicht im Flächenstaat.

"Design as Politics" heißt ein Bereich der Rotterdamer Biennale. Nimmt man diesen Anspruch ernst, bedeutet es, dass man sich als Architekt, Designer oder Stadtplaner nicht nur auf die politische Dimension des Entwerfens beschränken, sondern die entwerferische Dimension des Politischen im Blick behalten sollte. Einfacher gesagt: Die politische Konfiguration von Stadt sollte man sich zur eigenen Aufgabe machen. Natürlich erscheint ein solcher Anspruch weltfremd und anmaßend. Politik gestalten? Zu sehr haben wir das Mantra der Berufspolitiker verinnerlicht, es gäbe Systemzwänge, denen wir unterworfen seien. Dem können die gestalterischen Disziplinen ihr Selbstverständnis entgegenhalten.

Denn Entwerfen ist - mit Medienphilosoph Vilém Flusser gesprochen - das Gegenteil von Unterwerfen.

Friedrich von Borries, Jahrgang 1974, lehrt als Professor für Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg