Das Publikum steht, der Intendant ist gerührt: Im alten Ohnsorg fand die letzte Premiere statt. In 75 Jahren gab es bis zu 30 000 Vorstellungen.

Hamburg. Pastor Brand ist ein braver Gottesdiener. Doch so fromm, wie er tut und seine Schäflein im Dorf glauben, ist er nicht. Der Kerl mit dem dankbaren Augenaufschlag gen Himmel hat es in Wirklichkeit faustdick hinter den Ohren. Er lässt sich in brenzlige Hilfsaktionen und ein Techtelmechtel mit der reschen Haushälterin Meta (Sandra Keck) ein. Beides geschieht im Sinn der christlichen Nächstenliebe, versteht sich.

Willem Brand ist eine Paraderolle für Manfred Bettinger: Er spielt in Michael Kochs Inszenierung des Ohnsorg-Dauerbrenners von Günther Siegmund den humanen Schlaumeier und klugen Menschenkenner mit einer verschmitzten Herzenswärme. Als arme, so schlagfertige wie auch rechtschaffene Witwe Facklamm gewinnt Heidi Mahler die Gunst und Lacher des Publikums bei der letzten Ohnsorg-Premiere im Stammhaus an der Großen Bleichen. Denn nach dem letzten Vorhang am 8. Juli bezieht das Traditionstheater die neuen, großzügigeren Räume im Bieberhaus am Hauptbahnhof.

Intendant Christian Seeler hat die rustikale Krimikomödie nicht zufällig als Abschiedsstück gewählt. Nach der Uraufführung 1962 ist "Brand-Stiftung" nun in der fünften Inszenierung zu sehen. Heidi Kabel hat die resolute Frau Facklamm 1973, 1985 und 1995 gespielt, nun ist ihre Tochter Heidi Mahler in dieser Rolle zu sehen. Und wie sie dabei ihrer Mutter ähnelt - bei einem wütenden Blick, einer harschen Replik oder einem deftigen Lachen, es ist fast zum Verwechseln. Und trotzdem findet sie auch zu eigenen Tönen, zu ihrer eigenen Interpretation dieser urigen, energischen Frauensperson aus dem Volk.

Auf dem malerisch ausstaffierten Katen-Dachboden von Katrin Reimers geht es zu wie im Taubenschlag. Durch die Brandschäden aufgeschreckt, wetteifern die Bürgermeister zweier Dörfer in der Hilfe für den obdachlosen Pastor. Wie es der ebenfalls abgebrannten Witwe Facklamm oder den polnischen Erntearbeitern im Lager ergeht, kümmert die bigotten Nachbarn wenig. Doch Brand und der liebe Gott sorgen vor ...

Mit dem "richtig schönen alten Ohnsorg-Stück im positiven Sinn", wie Christian Seeler vor seinem auf der Bühne versammelten Team nach minutenlangen Ovationen gerührt sagte, ging die Ära des "alten Ohnsorg" zu Ende. In 75 Jahren waren 25 000 bis 30 000 Vorstellungen zu sehen, sagte Seeler, kamen zwischen 7 und 8 Millionen Besucher. Wieder eine Komödie, diesmal von Shakespeare, "En Sommernachtsdroom" op Platt in Michael Bogdanovs Regie, eröffnet am 28. August das neue Ohnsorg.

Brand-Stiftung bis 8.7., Ohnsorg-Theater, Karten unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg-theater.de