Der Musikklub Molotow an der Reeperbahn ist vom Abriss bedroht. Was würde Hamburg eigentlich ohne ihn fehlen? Wir waren eine Woche lang dort.

Hamburg. "Sollen wir nach oben oder nach unten gehen?", fragt ein Mädchen mit roten Haaren und ungezählten Sommersprossen seine männliche Begleitung. Zwei junge Menschen, durch deren Körper hindurch der Puls der Gegenwart schlägt. Schwarze Klamotten, Federtattoo auf dem Unterarm, eine Zigarette in lächelnden Mundwinkeln. Der Puls, der Beat ist laut.

Sollen wir uns in der kleineren Molotow-Bar Ra Ra Riot ansehen oder Kreisky im Keller? Wir müssen uns entscheiden. Zwischen verschrobenen bis wunderschönen Hippie-Folk-Pop aus New York und wütend dirigiertem Punk Rock mit einem Sänger, der sich in überdrehtem Wiener Akzent über alles und jeden beschwert.

Es ist Mittwoch. Die ganze Woche ist so voll gepackt mit musikalischer Nischenkunst, von deren Existenz der normale Mensch nichts weiß. Wie Ra Ra Riot. Ist trotzdem ausverkauft, gut, dann eben nach unten, in den Keller mit den roten Rock'n'Roll-Wänden und der niedrigen Decke, unter die halbe Diskokugel, die noch immer bedrohlich dicht über den Köpfen hängt. Es donnert auf der Bühne, Kreisky-Sänger Franz Adrian Wenzl wirkt mit seinem gut geschnittenen Anzug und dem ernsten Gesicht wie aus der Zeit gefallen, während sich hinter ihm ein Inferno entzündet. Die Gitarren kreischen irgendetwas Hektisches, der Bass ist immer zum Zerreißen gespannt, und doch ist die Musik stets unter Kontrolle, ganz straff organisiert, immer an der Grenze zur Explosion.

Zwischendurch dann doch kurz die Treppen hoch, raus, eine Zigarette aus dem Softpack ziehen, den Rauch ausblasen und einen Blick auf Ra Ra Riot werfen, durch die Tür und durch die Fenster: Sechs Leute auf der winzigen Bühne vor den großen Schaufenstern. Der Bassist muss mit dem Platz hinter dem DJ-Pult vorliebnehmen, denn das Cello und die glitzernde Geige seiner Mitmusiker müssen angemessen in Szene gesetzt werden. Es ist eng. Die Band verschmilzt fast mit den Fans, so nah sind sie sich. Andächtig lauschen die Menschen in der schlauchartigen Molotow-Bar, von draußen drücken sich Menschen aufgeregt die Nasen platt und sind dankbar für die Außenlautsprecher, durch die jeder dabei sein kann. Auch die Raucher.

Seit seiner Eröffnung 1990 ist das Molotow einer der wichtigsten Indie-Klubs Deutschlands. An den erinnernden Wänden hängen die Plakate derer, die hier schon spielten: The Killers, Wolfmother, The Gossip, Mando Diao, Wir sind Helden oder damals im November 2003 Billy Talent, eine von vielen Bands, die heute mühelos die größten Hallen des Landes bespielen. Als sie hier auftraten, waren sie noch klein. Hier sehen die Bands noch in die Gesichter derer, die an die wirbelnden Gitarren, an den Schweiß und an die Dringlichkeit in der Musik glauben.

Für einen Klub wie das Molotow ist die Reeperbahn kein zufälliger Ort. Einzigartige Musikgeschichte ist hier geschrieben worden. Alles andere als einzigartig ist, was in der jüngsten Vergangenheit um die Reeperbahn herum passiert ist - hier wurde Einzigartigkeit ausradiert, eine persönliche Handschrift durch eine Großstadt-Schablone ersetzt. In Schönschrift aus Glas.

Das Stichwort Gentrifizierung kann hier keiner mehr hören, es ist überbemüht. Es ist ein Unwort geworden. Doch Unworte beschreiben Unzeiten. Nach der Bavaria-St.-Pauli-Brauerei könnten 2014 nun die Esso-Häuser abgerissen werden, gemeint ist das komplette Areal zwischen Kastanienallee, Taubenstraße und Spielbudenplatz. Oder: der Dorfplatz eines Viertels, das sich so rasant verändert hat wie kein anderes in Hamburg. Aber an der Esso-Tankstelle kommen sie weiterhin zusammen, Anwohner, Zuhälter, Punks und Touristen, Partygänger und Prostituierte. Ein Mikrokosmos einer vielgesichtigen Welt, die nun vereinfacht werden soll. Und das Molotow ist noch heute ein Ort, an dem etwas Neues passiert und nie etwas Erwartbares, wo entworfen wird, nicht angeglichen. Jeden Abend.

Auch in der vergangenen Woche. Als Ra Ra Riot und Kreisky für ein fantastisches Konzert-Doppel der musikalischen Gegensätze gesorgt haben, Miami Horror mit elektronischen Hippie-Klängen den Sommer in den Keller holten oder Art Brut mit ihrem humorvollen Kunst-Punk den Schweiß an die Decke des ausverkauften Klubs schäumten, bevor sich bei der regelmäßig stattfindenden Indie-, Punk- und Rock'n'Roll-Party Motorbooty Hunderte junge Menschen beim Tanzen überschlugen und sich ihres Lebens freuten.

Das Mädchen mit den roten Haaren und ihr Begleiter sind auch wieder da. Sie sitzen in der Ecke und reden rauchend über die letzte Woche. Über all das Gesagte und über die Jezabels, eine australische Indie-Rock-Band, die noch nicht mal ein Album veröffentlicht hat. Sie waren leider nicht dabei. Das Konzert war für die kleine Bühne in der Bar gebucht und hat dann alle Erwartungen übertroffen. Es musste nach unten verlegt werden und war restlos ausverkauft. Alle wollten den einfühlsamen, klugen, widerspenstigen Pop des Sydney-Quartetts als Erste erleben.

Da sind die beiden einfach nach oben in die Bar gegangen und konnten erleben, wie ein junger Dichter, der eigentlich hinter der Bar arbeitet, zwischendurch auf den Tresen steigt und Lyrik vorträgt. Einfach so, als sei es das Normalste von der Welt.

Die Jezabels sehen sie dann beim nächsten Mal. Wenn es ein nächstes Mal überhaupt noch gibt. Denn ohne das Molotow wird es so eine Woche nicht mehr in Hamburg geben.