Dietmar Daths verrätselter Filmroman “Sie schläft“ kommt heute erstmals auf die Theaterbühne

Polittbüro. Ein Autor sollte alles Mögliche hervorrufen - nur keine Langeweile. Wenn Dietmar Dath einen neuen Text fertiggestellt hat, gibt es garantiert Kontroversen. Vor allem an seinem dystopischen Science-Fiction-Roman "Die Abschaffung der Arten", 2008 nominiert für den Deutschen Buchpreis, entzündete sich ein Streit. Kritiker fanden es wahlweise verlabert, technikbesoffen, schlicht unausstehlich oder aber erleuchtend. Gerne wird Dath, der unermüdlich den Verlust der gesellschaftlichen Utopien beklagt, auch ein einbetonierter Hang zum Stalinismus vorgehalten.

Zunächst einmal ist er aber eine Textmaschine, die, stets angereichert mit einer berauschenden Überdosis Theorie, maßlos Bücher, Texte und Essays ausspuckt. Viele von ihnen fanden zuletzt den Weg auf deutsche Bühnen: "Waffenwetter" in Mannheim (2007), "Die Abschaffung der Arten" (2009) am Deutschen Theater Berlin und "Annika. Spiel für fünf Menschen" (2011) am Schauspiel Frankfurt.

Weniger fantastisch klingt auf den ersten Blick das, was der Held von Dietmar Daths drittletztem Roman "Sie schläft" erlebt, dessen von Kritikern gerühmte Theaterversion vom Tübinger Zimmertheater heute als Koproduktion im Polittbüro gastiert. "Sie schläft" kommt zunächst im Gewand einer gewöhnlichen Liebesgeschichte im Kulturbetrieb daher. Der Deutsch-Inder Ramji hat in der Aufgabe, eine Website für ein Film-Avantgarde-Museum zusammenzulöten, seine Berufung gefunden. Es erfüllt ihn zutiefst, etwa einen unbekannten Kurzfilm der Regie-Ikone Stan Brakhage über das Graswachsen aufzutreiben.

Der Text spart nicht mit Seitenhieben auf machtbesessene Kunstförderinnen wie "Frau Elder, der verrückten Haarlackschnüfflerin von der Bundeskulturkacke", aber auch der selbstherrliche Duktus von Werbeagenturen wird mit bösen Zeilen bedacht. Ramjis einziges Problem ist, dass sich für seine hehre Aufgabe sonst leider niemand so recht interessiert. Das ist zunächst egal, weil sich der Idealist in eine verheiratete Kollegin verliebt. Als ihm eines Tages ein Freund und Mitstreiter das selig schlafende Liebesobjekt zeigt, scheint auf einmal möglich, dass Ramji selbst ins Zentrum eines fantastischen Films geraten ist. Oder doch in den Traum seines verehrten Dornröschens?

In der Inszenierung von Zimmertheater-Intendant Christian Schäfer spielt Roman Roth die Bühnenversion als popliterarischen Monolog. Er verkörpert gleich mehrere Figuren, einige werden per Stimme zugespielt. Das Polittbüro als ehemaliges Lichtspieltheater eignet sich hervorragend, diesen "Filmroman" zu erzählen. Die Verschiebung der Realitätsebenen ist bei Dath konsequent. Mag sein, dass der Mann mit dem Hang zu wissenschaftlichen Denkschlachten ein lebender Widerspruch ist. Aber seine überbordende Gedankenwelt lässt Sterne im literarischen Einerlei aufleuchten

Dath, Jahrgang 1970, war mal Chef der intellektuellen Mucker-Postille "Spex" und sechs Jahre Redakteur ausgerechnet der bildungsbürgerlichen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Zusätzlich ist der in Freiburg lebende Autor Heavy-Metal-Fan, Porno-, Zombie- und Comic-Experte. In "Sie schläft" finden sich neben verrätselten auch betörend schöne Momente. Zum Beispiel Sätze wie dieser: "Verliebt: Alles geht einen plötzlich an, nichts stimmt mehr, überall ist Aufregung und rot glühendes Vergnügen am allmählichen qualvollen Absterben sämtlicher Aussichten auf Sinn und Zweck." Revolutionärer kann Liebe kaum sein.

Sie schläft heute, 20.00, Polittbüro (U/S Hbf.), Eintritt 15,-/erm. 10,-; www.polittbuero.de