“Transformers“, “Avatar“ und “Hangover“. Action, Fantasy und Komödie dominieren im Kino. Der Liebesfilm scheint abgemeldet, doch die Sensucht bleibt.

Es gibt nur zwei Themen, die die Menschen interessieren, heißt es, die Liebe und der Tod. Für die Literatur mag das stimmen. Und auch beim Film, der so unterschiedliche Genres kennt wie Western, Horrorfilme, Thriller, Science-Fiction, Komödien, Krimis oder Animations- und Musikfilme, trifft das eigentlich zu. Aber warum gibt es dann so wenig gute Liebesfilme? Zumindest aus neuerer Zeit. Selbst "Titanic", "Schlaflos in Seattle" oder "Die fabelhafte Welt der Amélie" sind alle schon mehr als zehn Jahre alt.

In der Geschichte des Films haben Liebesfilme einst eine Hauptrolle gespielt. In den 30er-Jahren waren es die berühmten "Screwball-Comedies" wie "Es geschah in einer Nacht", "Leoparden küsst man nicht" oder "Ninotschka", in denen sich Männer und Frauen mit gepfefferten Dialogen aufheizten. Damals, nach der großen Wirtschaftskrise, hatten die Menschen den Glauben an alte Sicherheiten verloren und fanden Spaß an frechen, selbstsicheren Heldinnen, die alles auf den Kopf stellen wollten, an Paaren, die sich wortreich stritten, weil sie erschrocken darüber waren, welche Leidenschaften sie da gepackt hatten. Reiche Leute konnte man damals auf der Leinwand nicht mehr als tugendhaft darstellen. Und Arme nicht als Opfer. Und so waren die Regisseure und Autoren frei, witzige und ausgefeilte Dialoge zu schreiben. Die Zuschauer, die bis 1929 nur Stummfilme kannten, begeisterten sich für diese Männer und Frauen, die so elegant waren und die sich so ganz und gar unkonventionell benahmen.

Andere Liebesfilme lebten von knisternder Spannung, Hitchcocks "Vertigo", Wilders "Frau ohne Gewissen" oder Bette Davis, die die böse "Jezebel" spielte. Die beiden Liebesfilme, die immer wieder als die größten aller Zeiten ganz oben auf den Listen stehen, "Vom Winde verweht" aus dem Jahr 1939 und "Casablanca", 1942, könnten zwar unterschiedlicher nicht sein, aber sie ähneln einander in dem großen, unbedingten Gefühl, der nicht enden wollenden Leidenschaft für einen Menschen, den man nicht bekommen kann. Demselben Thema frönt "Stürmische Höhen", ebenfalls von 1939. Heathcliff, gespielt vom größten und attraktivsten Schauspieler seiner Zeit, Laurence Olivier, und Cathy (Merle Oberon) werden von Cathys schlimmem Bruder daran gehindert, zusammenzukommen. Mehr Schmachten geht nicht.

Sogar Shows wie "Ein Amerikaner in Paris", "A Star is Born", "West Side Story" oder "My Fair Lady" waren Kassenrenner, weil sie eine Liebesgeschichte erzählten. Liebesgeschichten sind so belastbar, dass man aus ihnen verrückte Slapsticks wie "Is was, Doc?" oder "Verrückt nach Mary" machen kann. Und selbst der Zweite Weltkrieg eignet sich als Folie, weil davor die Liebe umso größer erscheint wie im Thriller "Berüchtigt" oder in "Sein und Haben", in dem Humphrey Bogart und Lauren Bacall, die auch im richtigen Leben ein Paar waren, eine stürmische Beziehung durchleben.

Immer gaben Liebesfilme das Kolorit ihrer Zeit wieder. In den 50er-Jahren waren Doris Day und Rock Hudson, das nette Paar von nebenan, das sich "Bettgeflüster" lieferte. Ende der 60er-Jahre begeisterten sich die Zuschauer für Schmachtfetzen mit Garantie zum Weinen wie "Doktor Schiwago" oder "Love Story". Zwei Jahre später konnte man die sexuelle Befreiung auf der Leinwand in "Der letzte Tango in Paris" verfolgen. Der spröde, intellektuelle Charme Woody Allens, der äußerlich so gar nicht dem Bild des jugendlichen Liebhabers entsprach, entzückte das Kinopublikum Ende der 70er-Jahre in "Der Stadtneurotiker" oder "Manhattan".

Und heute? Da sehen wir im Kino meist Explosionen, Schießereien, überschminkte Helden oder Geschichten, die mehr nach Kinderzimmer klingen als nach Problemen von Erwachsenen. Die Filme, die sich in den vergangenen Jahren am meisten verkauft haben, hießen "Avatar", "Shrek", "Harry Potter" und "Spider Man". Sie sind gezeichnet oder für kindliche Gemüter, im schlimmsten Falle albern. Jedenfalls haben sie mit der Lebenserfahrung und -realität Erwachsener herzlich wenig zu tun. Gut, das Kino soll und sollte schon immer zum Träumen einladen. Aber möchten wir ernsthaft Menschen kennen, die von Ogers in Sümpfen träumen, von Jugendlichen, die auf Besen fliegen, oder vom Jahr 2154 auf einem extrasolaren Mond? Wo bleibt die gute alte Mann-trifft-Frau-Story mit allem Drum und Dran, mit Verführung und Versuchung, Hingabe und Sehnsucht? In "Batman", einem Kassenhit der letzten Jahre heißen Figuren Grumpy, Happy, Bozo, Chuckles und Dopey. Worin unterscheiden sie sich eigentlich von den Teletubbies, deren Namen Laa Laa, Dipsy, Tinky-Winky und Po sind?

Das Kino hat sich infantilisiert, ist verblödet und auf ein Publikum zugeschnitten, das aus 16-jährigen Jungs besteht. Es wird geballert und gebombt und gedröhnt. Wer heute einen modernen Liebesfilm sehen will, hat meist nur die Auswahl zwischen Jennifer Aniston, die mit Ben Stiller etwas schrecklich Komisches erlebt, oder Jennifer Aniston, die an der Seite von Adam Sandler etwas schrecklich Komisches erlebt. Das ist alles andere als komisch, zumal diese austauschbaren Filme mit den austauschbaren Blondinen in der Hauptrolle oft von hölzernen Dialogen, einer haarsträubenden Story und affigen Nebenfiguren begleitet werden. Fast immer stolpert dabei eine tapfere, magere Frau durch eine amerikanische Stadt und ist auf der Suche nach dem Kerl mit dem Grübchen im Kinn, der am besten ihre wahre Liebe verkörpern kann. Die modernen Hollywoodregisseure scheinen sich beim Drehen einer "romantic comedy" fast ausschließlich auf die Comedy zu fixieren. Die Romantik bleibt da auf der Strecke.

Und in Deutschland? Da sind ja Filmgeschichten schon lange dort angesiedelt, wo sich Minderheiten befinden, in den Nischen. Die Helden sind im Knast oder süchtig, sie leiden am Tourettesyndrom oder an Krebs, sind Migranten, Triebtäter oder Terroristen, wurden als Kinder gequält. Für die Mitte der Gesellschaft bleiben da wenige Figuren zur Identifikation übrig. Aber vielleicht, so suggeriert uns das Kino, ist genau all das die Mitte der Gesellschaft. Und wenn es einmal eine Liebesgeschichte gibt, dann spielt sie unter Rentnern ("Wolke Neun"), Senta Berger und Bruno Ganz geben ein altes Ehepaar ("Satte Farben vor Schwarz"), und eine Dreiecksbeziehung ist nur dann möglich, wenn einer, wie in "Drei", seine Homosexualität entdeckt und der andere Hodenkrebs hat. Die Mutter des einen hat sich für eine Plastination für Gunther von Hagens zur Verfügung gestellt. Wer will, mag da mitträumen.

Zu Beginn der großen Zeit des Films verführten die Helden der Liebesfilme dazu, dass man sich in sie verliebte - zumindest für die Dauer des Films. Gary Cooper an der Seite von Marlene Dietrich (in "Perlen zum Glück"), Cary Grant neben Ingrid Bergman oder Robert Redford in "The Way we were", in dem 90 Prozent der Frauen neidisch auf seine Filmpartnerin Barbra Streisand waren - schöner können Paare einfach nicht sein. Natürlich kamen auch sie als Leinwandhelden nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Schließlich sollten Filme größer als das Leben sein. Aber sie lebten von der Sehnsucht des Publikums nach etwas Großem, Unerreichbarem und nicht vom Gefühl "wie gut, dass mir das nicht passiert".

Vielleicht liegt es daran, dass das Kino mal ein Ort für Verliebte war. Im Dunkeln konnte man Dinge tun, die bei Licht verboten waren. Heute sitzt man in Gruppen vor dem Fernseher und schaut DVD, wenn man nicht gar einsam und alleine auf dem Computer "youporn" oder "redtube" anklickt. Möglicherweise kann und will heute niemand mehr an die romantische Liebe glauben. Schließlich hört man ständig von mächtigen Männern, die Putzfrauen vergewaltigen, Freundinnen im Dutzend betrügen, fremdzeugen oder Firmenausflüge in den Puff machen und Frauen nach Benutzung abstempeln. Die Pariser Gesellschaft trifft sich im Swingerklub "Les Chandelles", in Musikvideos zeigen sich Tänzerinnen, die wie Nutten aussehen, beinahe jede Frau, die einen roten Teppich betritt, muss zu kurze Kleider, zu hohe Schuhe und zu tiefe Dekolletés präsentieren, eine TV-Serie in den USA spielt in einem Bordell ("Cathouse"), und Videospiele gewinnt man dann, wenn man eine möglichst erfolgreiche Verbrecherkarriere anstrebt ("Grand Theft Auto") - das ist die schöne neue Welt. Aber der Traum von der Liebe, der hört deswegen trotzdem nicht auf.

Da trifft es sich gut, dass es nun ein Buch von Alexandra Maxeiner gibt, "Lieb mich wie im Film" (Eichborn Verlag), mit dem man die schönsten Liebesfilme einfach selbst erleben kann. 25 Filme lernt man darin näher kennen, mit Worten vor dem ersten Kuss - "Küss mich, küss mich, du" ("Vom Winde verweht"), "Ach Franz, das wäre alles so schön, wenn du kein Kaiser wärst" ("Sissy") oder auch mal gar nichts ("La Boum") -, Szenen, die sich zum Nachspielen eignen, und Zitaten, die man als Klugscheißer bei der nächsten Party anwenden kann. "Frühstück bei Tiffany" gehört dazu, der Audrey Hepburn weltberühmt gemacht hatte in einer Rolle, die auch Marilyn Monroe und Elizabeth Taylor hatten spielen wollen. Bei "Harry und Sally", dieser sehr lustigen Komödie mit den Orgasmusgeräuschen im Restaurant, lernen wir, dass der erste Kuss und der erste Sex zusammenfallen, nämlich nach 67:27 Minuten. Und der Dialog, den Meryl Streep und Robert Redford in "Jenseits von Afrika" führen - Er: "Beweg dich nicht." Sie: "Ich will mich aber bewegen." Er: "Beweg dich nicht" -, lässt sich sicher in verschiedenen Lebenssituationen anwenden. Die Filme werden mit Sternchen nach Schmacht-, Knister-, Wein- und Lachfaktor bewertet. Den größten Schmachtfaktor bekommt "Stolz und Vorurteil". Wie das? Im Film wird keinmal geküsst.

Zu den lebensnahen Ratschlägen gehört, eine Szene aus "Casablanca" nicht nachzuspielen: "Auch wenn Ilsa in einem schwachen Moment Rick darum bittet, dass er für sie mitdenken soll, sehen Sie grundsätzlich davon ab, Ihre Denkfähigkeit auf andere zu übertragen."

Bleibt die Hoffnung, auch im Kino bald wieder eine Liebesgeschichte zu sehen. Am 30 Juni startet "Larry Crowne". Angekündigt als "das romantische Zusammentreffen dieses Sommers". In den Hauptrollen Julia Roberts und Tom Hanks. Freuen wir uns drauf?