Heute dirigiert Esa-Pekka Salonen ein NDR-Konzert in der Laeiszhalle. Ein Gespräch über Schweigen, Italo-Pop und ein altes Horn.

Hamburg. Vielleicht war es die beste Entscheidung seines Lebens, das Haus seines Idols Igor Strawinsky in Beverly Hills doch nicht zu kaufen. Ganz kurz davor war Esa-Pekka Salonen damals, während seiner Anfangszeit als Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic, als er eine Bleibe für sich und seine Familie suchte.

Der Finne saß im Arbeitszimmer des von ihm so bewunderten Komponisten. Ließ das Charisma des Raums auf sich wirken. Sah den Diwan, auf dem Gäste abgelegt wurden, wenn sie schon zu betrunken für die Heimfahrt waren. Er sah die Abdrücke, die Strawinskys Klavier im Zimmerboden hinterlassen hatten. Salonen spürte, wie der Genius loci nur darauf wartete, in ihn zu fahren und ihn zu inspirieren.

Und dann fragte der Freund, der ihn zur Besichtigung begleitet hatte, ob er sich vorstellen könne, hier, auf heiligem Boden, auch nur eine einzige eigene Note aufs Papier zu bekommen. "Ich wäre wohl entweder gestorben oder zum Alkoholiker geworden", kommentiert er diese Perspektive heute mit dem Hauch eines Lächelns. Die Salonens wohnten dann in Santa Monica.

Inzwischen lebt der 52 Jahre alte Musiker, sowohl als Komponist wie als Dirigent gefragt und erfolgreich, mit Frau und Kindern in London; die Zeit als Chef des LA Phil im spektakulären Metallknäuel von Frank Gehry ist seit 2009 vorbei, inzwischen ist Salonen Principal Conductor des Philharmonia Orchestra in London. Praktisch schon deswegen, weil von dort aus vieles viel einfacher zu erreichen ist als aus dem doch sehr fernen Kalifornien. Seinem Nachfolger, dem Lockenkopf Gustavo Dudamel, dem sie dort sofort den lässigen Spitznamen "The Dude" verpassten, hat Salonen bei der Stabübergabe gesagt, er sei gern jederzeit für ihn erreichbar. Aber Erfahrungen mit dem Orchester und dem Personal, die müsse Dudamel schon schön selber machen.

Jetzt steht er im Dirigentenzimmer der Laeiszhalle, nach der Nachmittagsprobe. Salonen - ganz in Schwarz, bequeme Schuhe, ein Bärtchen Modell "Später Bruce Springsteen" unter der Unterlippe - ist die Ruhe selbst, geradezu das fleischgewordene Gegenteil des beliebten Vorurteils, Finnen seien abwechselnd todtraurig, stumm oder gleich beides. Er teilt sich halt nur gut ein, wie es in seiner Heimat Brauch ist.

"Die finnische Gesellschaft ist ziemlich einzigartig, weil es bei uns keinen Smalltalk gibt." Wer nichts Wichtiges zu sagen hat, der macht einfach eine Pause. Deswegen verwundert ihn es heute noch, wie sehr er Amerikaner mit dieser sehr ökonomischen Dialogtechnik aus dem Konzept bringen konnte. "Mögen Sie Los Angeles?", hatte man ihn damals gefragt, in der Hoffnung auf das übliche epische Jubel-Blabla. Salonen hat nur "Ja" geantwortet. Finnen sind vielleicht komisch. Aber Humor haben sie offenbar auch noch.

Den erwartbaren Blues des durchreisenden Maestros in irgendeinem Hotelzimmer, der sich fragt, was er auf diesem Kontinent macht und vor allem warum, kennt Salonen jedenfalls nicht. "Ich war ein Einzelkind", holt er nach einem kleinen Lächeln weit zur Antwort aus. "Ich war damals oft einsam, habe darunter aber nicht gelitten, weil ich sehr viel Fantasie hatte. Ich las viel, ich hatte die Musik. Zeit allein zu verbringen ist für mich keine Strafe."

Außerdem ist das Miteinander stundenlanger Orchesterproben für ihn so intensiv, dass er sich danach sagt: "Okay, ich habe mein soziales Pensum für heute erledigt." Viel mehr als ein Satz wie "Ein Pils, bitte ..." sei danach nicht mehr drin und auch nicht notwendig für die innere Balance. Um die zu erhalten, braucht es regelmäßige Sommer-Aufenthalte in der Heimat, mit Seeblick und ohne große Worte, und als "guilty pleasure" italienische Popmusik, Eros Ramazzotti, Gianna Nannini, so was, "das einzig wirklich Fragwürdige, das ich mir anhöre". Schuld ist eine Jukebox in jener Mailänder Kaffee-Bar, wo er als Student frühstückte.

Eine weitere, aber eindeutig hochkulturellere Schwäche hat Salonen für das Werk Thomas Manns, und auch zu diesem Idol hat er eine Immobilien-Anekdote parat. Wie er mit einem Journalisten der "New York Times" vor dem Haus des emigrierten Großschriftstellers in Pacific Palisades stand, hoffend auf einen Blick in diese Kultstätte, wo "Doktor Faustus" entstand, ein sehr Thomas-Mann-hafter Roman über einen sehr verschrobenen Komponisten. Was die beiden zu sehen bekamen, beschreibt Salonen grinsend als todlangweiligen Vorstadt-Ausblick. "Keine Hügel, keine Täler, das Arbeitszimmer neben einer Garage, das Fenster zur Straße. Er hat das Buch hier bestimmt nur aus Frustration geschrieben."

Frust ist das passende Stichwort fürs nächste Thema: Bayreuth und Wagner. Salonens Schwäche für diese Kombination ist bekannt, es sollte bislang aber einfach nicht sein. Hollywood-Telefonate hatte er genug, nur vom Grünen Hügel kam noch kein Anruf? "Ein paar Mal sehr wohl", kontert er, mit einem Tonfall, der anklingen lässt, wie wund diese Wunde wohl noch ist. Gespräche fanden statt, Pläne wurden von ihm und dem inzwischen auch schon verschiedenen Wolfgang W. geschmiedet. Doch selbst wenn es irgendwann klappen könnte, steht dann wieder Salonens nordisches Naturell im Weg. "Mein Problem ist, dass Bayreuth immer den ganzen Sommer dauert ... Das ist ... Ich kann das nicht. Ich möchte immer einen Teil des Sommers im Norden sein. Ich kann sonst nicht existieren, das ist für einen Finnen unmöglich." Jedes Mal, wenn er dort ist, fürs Erholen, Komponieren und Schweigen, fällt ihm ein altes Horn, in der Garage geparkt, in die Finger, das er in einem früheren Leben als Orchestermusiker gespielt hat. Und jedes Mal versucht er sich an Wagners berühmtem, unter Hornisten berüchtigten Siegfriedruf.

"Die ersten 30 Sekunden bekomme ich ziemlich gut hin, aber dann verlassen mich die Kräfte und der Ansatz. Das ist wie Radfahren: Man schafft das zwar auch nach langer Pause, aber am nächsten Tag tut einem dann doch der Hintern weh." Kleiner, feiner Ausgleich für diese Pein ist die Solidarität, die er bei seinen Gastdirigaten von Hornisten erlebt, die ihn ganz anders ansehen als der Rest des Orchesters. "Die wissen, dass ich weiß, dass sie wissen ...", amüsiert sich Salonen, "... für sie bin ich so was wie der eine, dem die Flucht gelang."

NDR-Abo-Konzert: 20 Uhr, Laeiszhalle, Gr. Saal. Bartók: Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta, Mozart: Klavierkonzert d-moll KV 466, Bartók: Konzert für Orchester. Esa-Pekka Salonen (Ltg.), David Fray (Klavier). Karten (11,35 bis 48,15 Euro) unter Tel. 0180/1787980