John Cheevers “Die Lichter von Bullet Park“ erscheint in neuer Übersetzung. Der Roman zeigt den Ort, an dem die “Mad Men“ der TV-Serie wohnen.

Hamburg. Wenn nichts so ist, wie es scheint, hat Don Draper noch einen Drink, zu dem er greifen kann. Und die Zigarette, die verlässlich zur Hand ist. Draper ist der Verkäufer und Macher der schönen Wirklichkeit, ein Makler der Ding- und Konsumwelt. Der Held der preisgekrönten 60er-Jahre-Fernsehserie "Mad Men", die zweite Staffel soll im Herbst auf ZDFneo laufen.

Draper ist Werbegenie, Familienvater, Karrierist, Frauenheld und vor allem: ein Lügner. Er lebt in Suburbia , in der Vorstadt. Dort, wo die Hecke sauber gestutzt und der Rasen millimetergenau getrimmt ist. Unter dem Schrein seiner wohlgeordneten Welt, in der das Schäferstündchen mit der Geliebten passgenau vor dem Abendessen mit Gattin und Kindern liegt, tut sich der Abgrund einer zweifelhaften Herkunft und der Ahnung von der Falschheit der eigenen Existenz auf.

Diese Welt, in der alles Fassade und nichts wahr ist, hat der amerikanische Autor John Cheever (1912-1982) in seinen Romanen beschrieben. Er gilt als einflussreich und wird von Größen wie Jonathan Franzen angeführt, wenn sie ihre Lehrmeister aufzählen. Nach der Wapshot-Familiensaga ("Die Geschichte der Wapshots", erstmals veröffentlicht 1957, und "Der Wapshot-Skandal", 1964) erscheint nun sein Roman "Die Lichter von Bullet Park" (1969) in einer deutschen Neuübersetzung.

Die Siedlung Bullet Park, gelegen im New Yorker Speckgürtel, ist eine Don-Draper-Welt: Es blitzt und schimmert, aber das Holz der Gartentür ist morsch. Die Drehbuchschreiber der überragenden TV-Serie dürften sich bei Cheever bedient haben, der wie Richard Yates (1926-1992) den faulen Zauber der ach so erfolgreichen weißen Mittelschicht ziemlich unbarmherzig ausformuliert hat. In "Die Lichter von Bullet Park" wird der Mikrokosmos der Cocktailpartys, der nachbarschaftlichen Beziehungen und der welkenden Aufstiegsträume anhand so einprägsamer wie austauschbarer Charaktere dargestellt: Eliot Nailles, der in einer Firma für Mundwasser arbeitet, lebt bereits seit Jahren in der Vorort-Idylle. Er ist selbstgerecht und zwanghaft optimistisch, ein Abkömmling der Generation, die nach dem Krieg in sichere Arbeitsverhältnisse geriet und seitdem unter der ausgedörrten Realität leidet.

Alkohol hilft in Bullet Park, die leeren und ritualisierten Tagesabläufe in watteweicher Indifferenz durchzustehen. Nailles jedoch trinkt nicht, um sich (wie der Werbemann Draper) aufzuputschen, er trinkt und schluckt Pillen, um überhaupt funktionsfähig zu sein. Sein Sohn Tony ist es schon früh nicht mehr, der Heranwachsende leidet unter einer Depression.

Paul Hammer, der Gegenspieler von Nailles (man beachte die Symbolik der Namen), zieht neu in die Gegend. Er begibt sich in die unwirkliche Blase der Blender, aber seine seelische Verfassung ist eine andere. Er versucht nicht den Schein zu wahren. Er will seinen Nachbarn den Spiegel vorhalten. Und zwar mit einer reinen, kristallinen Tat, nach der keine Fragen offenbleiben: dem Mord an einem der Bewohner des so perfekten, Konformismus einfordernden Ortes.

Bullet Park ist da, wo die "Mad Men" wohnen, und die Doppeldeutigkeit des Adjektivs "mad" gilt übrigens bei Cheever nicht. Wo die Werber der Agentur Sterling & Cooper in der TV-Serie noch irrsinnig (genial) und wahnsinnig sind, gerieren sich die Anti-Helden in "Bullet Park" nur noch wie der Wirklichkeit entrückte Unglücksboten, deren Nachricht simpel ist. Alles ist sinn- und zwecklos.

Einen Hinweis, warum der Ausbruch aus einem als falsch empfundenen Leben nicht gelingt, gibt Cheever. Das Unglück Hammers ist das unmögliche Coming-out im Amerika der intoleranten 60er-Jahre. Dieser Schmerz vergeht nicht, und es bleibt ihm nichts, als ihn zu betäuben.

Die Aufdeckung der wahren Verhältnisse, die inoffizielle Familienwirklichkeit hinter der offiziellen Show, ist ein gern behandeltes Thema der modernen Literatur. Was passiert hinter all diesen Fenstern? Die Schaulust ist's, die einen vor die Glotze treibt oder zur Cheever-Lektüre. Die Lust an der Heuchelei könnte man das nennen oder die frivole Freude am Fehlen und Scheitern der anderen.

Der Pharisäer ist eine Gestalt, vor der bereits die Bibel warnt: " Ihr seid's, die ihr euch selbst rechtfertigt vor den Menschen; aber Gott kennt eure Herzen; denn was hoch ist bei den Menschen, das ist ein Gräuel vor Gott", heißt es in Lukas 16,15. Gott kennt die wahren Gedanken der Menschen.

Cheevers Kunst, die Doppelmoral seiner und unserer Wohlstandswelt auszustellen, wirkt in "Bullet Park" übrigens bisweilen etwas läppisch: In einem aus unterschiedlichen Perspektiven erzählten Roman sprechen alle Figuren im selben Duktus. Das könnte als formaler Handgriff auch Absicht sein, rechtfertigt aber nicht die wenig elegante Montage der beiden Teile, aus denen sich Cheevers vorletzter Roman zusammensetzt. Überhaupt erzählt "Mad Men", dieser farbenfrohe Kostümfilm aus den 60ern, insgesamt die bessere Geschichte. Weil keiner so smart lügt wie Don Draper.

John Cheever: Die Lichter von Bullet Park. Dumont. Übers. v. Thomas Gunkel. 255 S., 19,99 Euro