Die Hamburger Comic-Zeichnerin Isabel Kreitz hat die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland in zauberhafte Bilder gefasst.

Hamburg. Die Deutschland-Zeichnerin arbeitet seit ein paar Monaten direkt am Hafen. Vor ihrem Büro stehen künstliche Palmen, hier haben vor einigen Jahren St. Paulianer einen kleinen Park angelegt. Als wäre hier die Südsee und "Park Fiction" das Paradies. Das Büro von Isabel Kreitz, oder sagen wir besser: ihre Werkstatt, befindet sich in einem Backsteinbau. Es ist das Pfarrhaus der St.-Pauli-Kirche. Nebenan liegt der Friedhof, das Gotteshaus versteckt sich hinter Bäumen. Der Wind rauscht durch grüne Blätter, aber sonst ist über allen Wipfeln Ruh'.

Es ist ein ruhiger Vormittag an der Elbe. Ab und an schiebt sich ein Containerschiff vorbei, Isabel Kreitz sagt: "Unter meiner alten Werkstatt lag eine Tischlerei, die Kreissäge nervte irgendwann." In Ottensen war diese Werkstatt, und so schön der beliebte Stadtteil auch ist: Ein so treffliches Motiv wie hier am Hafen wird es dort schwerlich geben. Ein Motiv, das für Deutschland steht und Wiedererkennungswert hat: Kräne, Docks, Wellen. Kreitz, Comic-Zeichnerin von Beruf, hat ein Album gezeichnet, in dem es nur um Deutschland geht. Aber was heißt nur, 60 Jahre Bundesrepublik wollte die 43-Jährige in kleinen Bildergeschichten erzählen, die großen Wendungen und Momente der deutschen Geschichte, Jahr für Jahr.

Die Fußball-Weltmeisterschaft 1954, Kennedys Besuch in Berlin, die Einführung des Farbfernsehens, der Einzug der Grünen in den Bundestag, der Mauerbau in Berlin: Geschichte wurde gemacht, spektakulär und en passant. Es gibt Ikonen und berühmte Bilder, die sich uns eingeprägt haben. Gerade die wollte Isabel Kreitz aber nicht nachmalen, sie bewegt sich in ihren Bildergeschichten nur annäherungsweise auf sie zu: Zum Beispiel, wenn sie John F. Kennedys Berlin-Besuch im Jahr 1963 ("Ish bin ein Bearleener!") aus der Perspektive der sich auftakelnden Hausfrauen erzählt, die den "süßen" Beau unbedingt in Augenschein nehmen wollen.

Isabel Kreitz hat ein freundliches Gesicht. Sie trägt eine Kurzhaarfrisur mit Rotstich und einen dunklen altmodischen Rock, sie wirkt ewas aus der Zeit gefallen. Sie ist eine Zeitreisende in Sachen Bundesrepublik, die jetzt und hier, unter der Wohnung des Pastors, sagt: "Wer sich nicht für Geschichte interessiert, wird auch nicht durch Geschichts-Comics bekehrt werden." Sagt die Frau, der früh allerhöchste Ehren zuteil wurden. 1997 wurde sie zur besten Comiczeichnerin der Republik gewählt. Es war das einzige Mal, dass die Wahl stattfand. Das dazugehörige Comic-Festival Hamburg machte gleich nach der Premiere die Schotten dicht.

Kreitz hatte damals vielleicht auch gewonnen, weil sie Lokalmatadorin war: Sie wurde 1967 in Hamburg geboren, wuchs in Nienstedten auf, lebt seit fast 25 Jahren in Ottensen. Studium an der FH für Kunst und Gestaltung an der Armgartstraße, kennt man in Hamburg, die Adresse. Hier denken und gestalten sich die Künstler ihre Welt zusammen. "Kunstquark" wollte Kreitz nicht machen, sie wollte Comics zeichnen, "blöde Comics", so nennt sie das und schaut verschmitzt. Der Vater, Architekt, hatte es nicht gern gesehen, als die kleine Isabel "Donald Duck" las und andere bunte Hefte mit Sprechblasen.

Es war in New York, als Isabel Kreitz endgültig beschloss, nur noch Comics zu malen. Sie studierte an der Parsons New School For Design und blieb, so lange das Geld reichte. "Hätte ich eine Green Card bekommen, wäre ich vielleicht nicht zurückgekehrt", sagt Kreitz und greift ins Regal. Dort steht das, was sie in Hamburg gezeichnet hat in den vergangenen Jahren. Eine Adaption von Uwe Timms "Die Entdeckung der Currywurst", etliche Erich-Kästner-Bearbeitungen, die Geschichte des Hannoveraner Knabenmörders Haarmann. Kreitz ist eine detailverliebte Zeichnerin, auf dem breiten Resopaltisch liegen die Rohversionen ihrer aktuellen Arbeit. Blaue Kuli-Striche: eine Geschichte Erich Kästners, "Emil und die Detektive", wer kennt es nicht. Sie nimmt sich am liebsten populärer Themen an, und sie setzt sie populär um. Jeder soll verstehen, um was es in der Geschichte geht. Das ist eine schöne Prämisse, nach der sie künstlerisch handelt, weil sie das Augenmerk eher auf die Leser als auf den ästhetischen Ehrgeiz der Künstler legt. Früher hat sie lange die Ottifanten gezeichnet, aber seit einigen Jahren macht Kreitz fast nur noch, worauf sie Lust hat.

Sieht man mal von den Auftragsarbeiten für Unternehmen ab. Ab und zu zeichnet sie auch mal Bedienungsanleitungen für die Beschäftigten in der Industrie, was man sich nicht wirklich gut vorstellen kann, aber die gute Frau hat schließlich ein bürgerliches Erbe mitbekommen, eine hanseatische Erziehung: Ein festes Einkommen haben sollte man schon. Comics laufen mittlerweile ganz gut auch hierzulande, Isabel Kreitz wäre mal ein richtiger Hit zu wünschen. "Deutschland. Ein Bilderbuch" könnte so einer werden.

Das Buch erzählt ja selbst von Hits, Geschichts-Hits, wenn man so will. Wie immer hat Kreitz sich nicht an der Erzählweise von Literatur orientiert, sondern an der filmischen. Die Episoden decken die politische, die kulturelle, die wirtschaftliche und besonders die Gesellschaftsgeschichte ab. Wenn man die Geschichten durchgeht, entblättert sich kaleidoskopartig der lange Weg bis ins Heute: Der Beschluss des Gleichberechtigungsgesetzes 1957, die "Spiegel"-Affäre 1962, die erste "Sesamstraße" in Deutschland: Manche Episoden sind Pflicht, andere überraschend. Und bei allen sollte man genau hinschauen.

Das Zeitkolorit ist kräftig und vermischt auch scheinbar Nebensächliches. Zum Beispiel, wenn in der "Sesamstraßen"-Begebenheit, die Kinder und Erwachsene vor dem Fernsehgerät versammelt, ein Kind mit verstümmeltem Arm gezeichnet wird. Der Contergan-Skandal wird hier zitiert, das Kind ist das der Nachbarn.

Isabel Kreitz, die Deutschland-Zeichnerin, ist nun auch eine ziemliche Deutschland-Expertin. Beim Recherchieren der Geschichten hat ihr ein Freund zur Seite gestanden. Deutschland macht Arbeit, man muss Geschichte finden und Geschichte aussieben. Eben sind die Belegexemplare des Verlags an Kreitz' Arbeitsplatz eingetroffen, beim dritten Versuch. Vorher hatte der Paket-Mann die Werkstatt im Pfarrhaus nicht gefunden.

Der Zugang zu den Comic-Geschichten von Isabel Kreitz ist dagegen ganz einfach. Den findet jeder.