Lorin Maazel setzt mit dem Philharmonia Orchestra London Maßstäbe im Mahler-Jahr. Die Musik klang kompromisslos und überraschend.

Hamburg. Etwa fünf Sekunden lang saß der Herr neben mir nach dem Schlussakkord von Mahlers Fünfter wie versteinert, dann brach sich, noch vor dem Applaussturm, aus der Tiefe der Seele ein bewunderndes "Booaaaaah!" Bahn. Und alle Umsitzenden nickten ergriffen und begeistert Zustimmung. Diese Fünfte, gespielt vom Philharmonia Orchestra London, dirigiert von Lorin Maazel, wird als Sternstunde des Mahler-Jahres im Gedächtnis bleiben.

Wann zuletzt hat man in der Laeiszhalle einen so homogenen Blechbläserklang gehört, wann Streicher und Holzbläser, die transparent und bis zum letzten Pult wie aus einem Atem spielten? Trompeten, Posaunen und Hörner haben in der Fünften einen Riesenpart zu bewältigen, von verzweifelten Höllenritten im ersten und zweiten Satz bis zur choralartigen Apotheose am Ende des fünften. Und das gelang so makellos, im absoluten Einklang von erdbebenartiger Erschütterung bis zu rasiermesserscharfen Akzenten, und immer mit allerfeinstem Ohr fürs exakte Stimmen.

Dieser Mahler klang kompromisslos und überraschend, befreit von süßlichem spätromantischen Kleister. Und sofort war zu spüren, was das Publikum zur Entstehungszeit so beunruhigte und irritierte: Mahlers Musik ist doppelbödig, voller Falltüren für falsche Sicherheiten, und sie rührt schonungslos an Ur-Emotionen der Menschheit.

Lorin Maazel, Grandseigneur und verblüffende 81 Jahre jung, dirigierte das quasi aus dem Handgelenk, elegant und meist ohne ausladende Bewegungen. Ein winziges Zucken der Finger hier, eine hochgezogene Augenbraue dort. Welch himmelhohen Raum lässt ihm das für vielfältigste Steigerungen! Eine Wendung des Körpers zu den Ersten Violinen, und deren Intensität wächst ins Unendliche. Ein Wink zu den Trompeten, und dort bricht die Hölle los oder der Himmel geht auf. Traumwandlerisch sicher leitet Maazel seine Musiker durch die Klippen der vertrackten Partitur, kitzelt vor allem Schärfen und Brüche heraus; nur das berühmte Adagietto bleibt ein verhauchender Traum, bei dem man für winzige Wackler im Pianissimo der Celli fast schon dankbar ist, es klänge sonst einfach überirdisch perfekt. Orchester und Dirigent verschmelzen zu einem atmenden, kämpfenden, leidenden und triumphierenden Klangkörper. Großartig, unerhört, atemberaubend modern.

Schade, dass Janine Jansen für das einleitende Mendelssohn-Violinkonzert nicht den besten Tag erwischt hatte; sie spielte anfangs hörbar nervös und blieb gegenüber dem - unsensibel lauten - Orchester blass, was auch ihre enorme Technik und aufblühende Leidenschaft im dritten Satz nicht wirklich ausgleichen konnten.