Friedrich Christian Delius erhält den Büchner-Preis 2011

Darmstadt. Die großen Schriftsteller üben oft die Funktion des Berichterstatters aus. An Chronisten der deutschen Nachkriegsgeschichte hat es dem Land nie gemangelt, jetzt ist einer ihrer Besten, der nie in der ersten Reihe der deutschsprachigen Autoren stand, mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet worden. Die mit 50 000 Euro dotierte wichtigste literarische Auszeichnung geht 2011 an den Berliner Schriftsteller Friedrich Christian Delius.

F. C. Delius, Sohn eines Pfarrers, wurde in Rom geboren und wuchs in Hessen auf. Schriftsteller wurde er in der Studentenbewegung. Delius studierte an beiden Westberliner Unis, der Technischen Universität und der Freien Universität, Literaturwissenschaft. Nach seiner Promotion arbeitete er als Lektor im Wagenbach- und im Rotbuch-Verlag, seit 1978 ist er freier Schriftsteller. Seine gesellschaftskritische Lyrik ("Wenn wir, bei Rot") und die Satire "Unsere Siemens-Welt" widmeten sich den neuralgischen Zonen des Wirtschaftswunderlands Bundesrepublik. 1981 erschien Delius' erster Roman "Ein Held der inneren Sicherheit", der den Deutschen Herbst thematisierte.

Zu Höchstform und Meisterschaft fand der heute 68-Jährige aber erst in der Literarisierung der eigenen Biografie, der er sich in den vergangenen 20 Jahren verstärkt widmete. Wie sonst nur Uwe Timm (der selbst seit vielen Jahren für den Büchner-Preis im Gespräch ist) schrieb Delius über die Achtundsechziger. Seine Bildungsromane ("Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde", "Amerikahaus und der Tanz um die Frauen") malten plastisch ein Bild von der beengten Herkunft der Studentenrevolutionäre und ihrem Aufbruch in den Seminarräumen der Unis und auf den Straßen.

Der Emanzipation von den Autoritäten galt dabei die Aufmerksamkeit Delius'; er beschrieb jedoch auch das Empfinden einer übernommenen Schuld, die die Elterngeneration in der Nazi-Zeit angehäuft hatte. In dem Roman "Das Bildnis der Mutter als junge Frau" ist der Erzähler noch ein Fötus im Bauch der schwangeren Mutter, die während des Zweiten Weltkriegs durch Rom wandert, wohin sie ihr Mann, der Pfarrer, in Sicherheit gebracht hat.

Das Ungeborene ist ein Resonanzraum für die Sorgen und Nöte der Mutter, die das deutsche Verbrechen ahnt und doch nichts dagegen tun kann. Im 2004 erschienenen Roman "Mein Jahr als Mörder" will der Held zum Rächer werden und den Nazi-Richter Rehse umbringen, der den Widerstandskämpfer Georg Groscurth einst zum Tod verurteilte. Groscurth hatte eine Art Wunschbiografie, mit der die eigenen Eltern nicht aufwarten konnten.

Was Delius in seinen Romanen eindrucksvoll beschrieb, ist das Ineinander der Generationen, die Übertragung von Erfahrung. Wenn eine Generation von ihrer Geschichte im Grunde nichts mehr wissen will, heißt das nicht, dass sie verloren geht: Sie wird von der nachfolgenden zutage gefördert.

Delius' Texte wurden in 17 Sprachen übersetzt. Delius ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, ebenso gehört er der Akademie der Künste in Berlin und der Freien Akademie der Künste in Hamburg an.