Alissa Walsers Erzählung “Immer ich“ zeigt lauter Unentschiedene

"Nur nie Wurzeln schlagen und nie was kappen müssen", wünscht sich eine der weiblichen Protagonistinnen aus Alissa Walsers neuer Erzählung "Immer ich". Dieses Ansinnen hat durchaus programmatischen Charakter für das Gros der weiblichen Figuren, die sich durchgängig in einem emotionalen Stadium der Unentschiedenheit befinden. Zumeist hat es der Leser mit Künstlerinnen mittleren Alters zu tun, die sich verlieben und trennen, sehnen und flüchten.

"Mein Leben! Nichts als eine Mischtechnik", lässt Alissa Walser, die viele Jahre als Malerin erfolgreich arbeitete, eine ihrer Figuren befinden. Die 50-jährige Autorin, die 1992 mit dem Klagenfurter Bachmannpreis ausgezeichnet wurde und die 2010 für ihren Romanerstling "Am Anfang war die Nacht Musik" sehr gelobt wurde, lässt mit New York und Frankfurt zwei wichtige Stationen aus ihrem Leben als Handlungsschauplätze einfließen.

Alissa Walser bevorzugt eine Art labyrinthisches Erzählen. Unterschiedliche Episoden werden miteinander verknüpft, Figuren aus vorangegangenen Textsequenzen treten urplötzlich wieder auf. Treffend heißt es über eine Figur: "Für Mona ist ein Rätsel erst dann gelöst, wenn es zu einem nächsten Rätsel geführt hat." Ähnlich ergeht es dem Leser mit dem Handlungspersonal. Die Figuren bewegen sich zwischen Stolz, Selbstbewusstsein und Selbstzweifeln. So gibt Onkel Uwe gleich zu Beginn der kleinen Nina mit auf den Weg: "Immer ich sagen." Aber dieser wohlgemeinte Rat hat offensichtlich kaum Gehör gefunden. Die meisten Frauen lavieren sich ziemlich orientierungs- und ziellos durch die Handlung, immer ein wenig gehetzt und irgendwie suchend um der Suche willen. Selbst die erotischen Momente sind von großer Flüchtigkeit und scheinen nur eine Zwischenstation auf der stressigen Dauerreise durch den Alltag zu sein.

"Ich mag das Samtige am männlichen Geschlecht und am Weiblichen das Seidige", schreibt eine Frau unter der Überschrift "Was ich vermissen werde, wenn ich tot bin" in ihr Notizbuch. Das wirkt zwar ziemlich pathetisch und etwas dick aufgetragen, doch es trifft dieses undefinierbare Sowohl-als-auch-Gefühl dieses Bandes im Kern. Bei Alissa Walser scheinen die banalsten Dinge des Alltags miteinander verbunden zu sein - zwischen Brokkoli, Pornokino und Yogakursus setzt sie geheimnisvolle, verbindende Klammern.

In "Immer ich" dominieren die Sehnsüchte nach Bindungen und die daraus gleichzeitig resultierenden Ängste, lieb gewonnene Freiheiten verlieren zu können. Aber so sind heute nun einmal viele Menschen. Ihnen hat Alissa Walser ein kunstvolles Wort-Denkmal gesetzt.

Alissa Walser: "Immer ich". Erzählung. Piper Verlag, 158 Seiten, 16,95 Euro