Oma hätt's genervt: Hamburg fest in Schlager-Hand

Wenn ich an Roger Whittaker denke, dann spüre ich immer die Hand meiner Oma, die forsch an meinem Gesäß rumfummelt und ein Zäpfchen in selbiges schiebt.

Zack. Drin.

Mein Bruder und ich verbrachten unsere Ferien am liebsten bei den Großeltern an der Mosel. Hier gab es Weinberge, enge Gassen und Opa, der uns auch mal ans Steuer seines Traktors ließ. Das war das Allertollste, gleich nach dem Aal-Angeln in der Mosel: mit dem Trecker zum Weinberg hochzockeln. Wir wachten jeden Morgen auf, mit strahlenden Gesichtern und einer Traube Trauben in der Hand. Wir aßen morgens, mittags und abends Trauben, und weil mein empfindsamer Magen, der sich erst später an (gegorene) Säfte verschiedenerlei Provenienz gewöhnen sollte, sehr sensibel war, hatte ich mit einem Male Magen-Aua! Es zwickte und zog, und dann wurde mir ganz heiß. Ich lang krank darnieder. Mein Bruder tollte toll durch Reben, was für ein Leben. Ich lag träge auf dem Bett, stumm wie ein Kadett. Aber aus dem Esszimmer der Oma drang eine Stimme nach oben, die sang beschwingt: "Ein bisschen Aroma, ein bisschen Paloma."

Und dann kam Oma die Treppe hoch mit der Medizin. Ich war 7 oder 17. Jung und empfänglich genug jedenfalls, um die rektale Unternehmung auf ewig mit dem seicht plätschernden, völlig anspruchslosen Sound Roger Whittakers zu verbinden. Nicht dass Oma ein großer Schlager-Fan gewesen wäre. Manchmal vergaß sie aber das Umschalten, wenn sie Hackbällchen briet oder falsches Filet anrichtete. Oma war eine Super-Frau, einfach eine Wucht.

Sie mochte Marlboro, aber nur zwei am Tag, den Papst und Andre Agassi, als der noch lange Haare hatte. Oma hatte ihre Kindheit in Sachsen verbracht, weshalb sie laut und ausdauernd schimpfen konnte. Sie war Küsterin in der Kirche, und gerne hätte sie uns aus dem Johannes-, vielleicht auch aus dem Matthäus-Evangelium vorgelesen.

Wir wollten aber lieber fernsehen, zum Beispiel "Alf": Omas sind naturgemäß keine harten Verhandlungspartner, sie besitzen keinerlei mütterliche Strenge. Sie sind weich wie Watte, aber im Falle meiner Großmutter nicht so weich in der Birne, Roger Whittakers Kompositionen für eine adäquate Klangkulisse zu halten. Oma hörte lieber gregorianische Choräle als "Was ist dabei, wenn wir uns lieben".

Ja, was eigentlich? Wenn's doch immer so einfach wäre! So einfach wie in der Ferien-Welt bei Oma und Opa, wo nur ästhetische Vorbehalte gegen den perfekten Soundtrack sprachen: Man versteht auch schon als Kind, dass die spießige Gute-Laune-Welt des Schlagers so falsch ist wie die Mär vom Weihnachtsmann.

Später, als mein Bauchweh verschwunden war, stürmte mein Bruder mit Verve herein und hielt, er war kaum acht damals, meiner armen Großmutter einen Vortrag, als er des schlagernden Budenzaubers in der Flimmerkiste ansichtig wurde: "Das ist Teufelswerk! Ein Sedativum für das Volk! Schlager kultivieren ein System der fortschreitenden Verdummung! Die schlimmste Ausgeburt der Kulturindustrie! Schlager machen uns zu passiven Konsumenten des Immergleichen, denen die eigene Ausdrucksfähigkeit für Gefühle genommen wird, indem ein simpler Sprachgebrauch stumpf perpetuiert wird! Oder, wie schon Adorno grundsätzlich sagte: Die angebliche Wichtigkeit des Kulturlebens sabotiert das Bewusstsein des Wesentlichen!"

So schäumte mein Bruder, und Oma fand besonders den Satz von Adorno gut. "Fein", sagte sie zu ihren Enkeln, dann schaltete sie den Fernseher aus.

Roger Whittaker Sa 21.5., 20.00, CCH (S Dammtor), Am Dammtor 1, Karten zu 43,50 in den bekannten Vorverkaufstellen

Die große NDR 90,3 Starparade So 22.5., 14.00, O2 World (S Stellingen), Sylvesterallee 10, ab 37,-