Das Ensemble Resonanz spielt zum 100. Todestag des Komponisten Gustav Mahler heute sein “Lied von der Erde“ in der Laeiszhalle.

Laeiszhalle. Angst vor höheren Mächten bringt Menschen dazu, die seltsamsten Dinge zu tun. Obwohl Gustav Mahler ansonsten nicht dazu neigte, den Lauf der Dinge ständig nach bösen Omen abzuklopfen, war ihm die Zahl Neun nicht geheuer. Neun vollendete Sinfonien hatte sein Idol Beethoven hinterlassen, auch Bruckners Werkkatalog blieb bei diesem Thema gerade noch einstellig. 1912 sollte Schönberg kategorisch orakeln, die Neunte sei eine Grenze. "Wer darüber hinauswill, muss fort. Die eine Neunte geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe."

Zufall, Fügung, Kaffeesatzleserei das alles? Mahler wollte kein Risiko eingehen; das Schicksal hatte ihn 1907, als er mit der Vertonung von sechs Chinoiserie-Gedichten begann, schon genug Tiefschläge verpasst: Seine Tochter war gestorben, er hatte den Posten des Direktors der Wiener Hofoper verloren und erfuhr von seiner schweren, letztlich tödlichen Herzkrankheit. Deswegen nummerierte er jene Komposition, die nach seiner monumentalen Achten entstand, auch nicht, sondern nannte sie lieber ganz unverfänglich "Das Lied von der Erde", obwohl er sich darin mit den existenziellen Fragen des Lebens und Vergehens auseinandersetzte.

Aus Anlass von Mahlers heutigem 100. Todestag spielt das Ensemble Resonanz dieses Gedicht von einer Meditation über Sein und Nichtsein, kombiniert mit dem Adagio aus der tatsächlich unvollendet gebliebenen Zehnten. Bei dieser Gelegenheit gibt es in der Laeiszhalle auch ein Wiederhören mit der Mezzosoporanistin Maite Beaumont.

Als Mahler 1907 seine Achte vollendete, war seine Welt noch eindeutiger in Ordnung. Er hielt dieses Stück für das "Größte", was er je geschaffen hatte, und nicht nur rein rechnerisch lag er damit richtig. Die Besetzungsmasse sprengte alle Größenbeschränkungen: acht Solisten, zwei gemischte Chöre, ein Fernorchester, ein Knabenchor sowie ein Riesenorchester. Die erste wirkliche Chor-Sinfonie der Musikgeschichte, die dort kühn weitermacht, wo Beethoven mit seiner Neunten Neuland erkundete.

Mahler wollte damit nicht weniger als ein Sinnbild des Universums schaffen, eine Symbiose aus Alt und Neu, Menschlichem und Göttlichem. Er vertonte den Hymnus "Veni creator spiritus" aus dem 9. Jahrhundert und die Schlussszene aus Goethes "Faust II". Ein überkonfessionelles Glaubensbekenntnis an das Gute, Schöne, Wahre und vor allem Ewige. "Diese Sinfonie muss sein wie die Welt, sie muss alles umfassen", erklärte Mahler Sibelius.

Dass sie aus schnöden kommerziellen Gründen den Beinamen "Sinfonie der Tausend" erhielt, war so gar nicht nach seinem Geschmack, er beschwerte sich später über die "mir fatale ,Barnum und Bailey'-Aufführung", als hätte es sich bei der Premiere um eine Zirkussensation gehandelt. Sie fand am 12. September 1910 in München statt, in der Neuen Musik-Festhalle stapelten sich insgesamt 1028 Mitwirkende, die Mahler selbst dirigierte. Rund 3000 Zuhörer waren euphorisch, unter ihnen befanden sich viele Größen der Musikwelt: Strauss, Schönberg, Webern, aber auch Stefan Zweig und Max Reinhardt.

Seitdem wird Mahlers Opus maximum nur zu sehr besonderen Anlässen aufgeführt, sie ist in ihren Dimensionen so archaisch, so raumsprengend und nicht zuletzt auch akustisch fordernd, dass Interpretationen oft nur mehr oder weniger geglückte Annäherungsversuche an ein spirituelles Monument sind, das weite Bögen um Mahlers ansonsten oft so volkstümelnd Naive und das sarkastisch Doppelbödige macht. Am Freitag dirigiert Christoph Eschenbach in der ausverkauften O2 World eine Aufführung des Stücks, in dem es im Finale heißt: "Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis, das Unzulängliche, hier wird's Ereignis."

Seine 8. Sinfonie war die letzte Komposition ihrer Art, deren Premiere Gustav Mahler noch erleben durfte. Was er später schrieb, wurde posthum aufgeführt. Der Fatalist Schönberg hatte also fast vollständig recht behalten.

Konzerte: Ensemble Resonanz: Mi 18.5., 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Karten zu 6,- bis 41,- unter T. 35 76 66 66; Kantorei/Vokalensemble St. Jacobi, Contertone Hamburg, Leitung Rudolf Kelber: Mi 18.5., 20.00, Mozartsaal (Bus 4, 5), Moorweidenstr. 36, 16,-/9,-