Die amerikanische Avantgarde-Rockband Pere Ubu spielt heute ihr 1978 veröffentlichtes Debüt-Album “The Modern Dance“ einmal komplett durch.

Fabrik. Eine Stadt wie ein Moloch: stillgelegte Stahlwerke, hohe Arbeitslosigkeit, wachsende Kriminalität, verlassene Häuser, Drogendealer an jeder Straßenecke. Cleveland, vor 100 Jahren noch eine der prosperierenden US-Metropolen, ging spätestens mit der Stahlkrise Anfang der 70er-Jahre den Bach hinunter. Hier wuchsen Da id Thomas, Allan Ravenstine und Peter Laughner auf, junge Leute ohne große Perspektiven in einer untergehenden Stadt. Den Gang aufs College und eine anschließende Karriere hielten sie nicht für erstrebenswert, sie waren gesellschaftliche Verweigerer. Der einzige Ausweg, den sie hatten, war der Rock 'n' Roll. Also gründeten sie eine Band und nannten sie Pere Ubu.

Die Wahl des Bandnamens spricht bereits Bände, denn Pere Ubu war die Titelfigur eines dadaistischen Theaterstücks, das der Franzose Alfred Jarry Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben hat und das zu einem Vorläufer des absurden Theaters wurde. Auch Pere Ubu verstand sich als ein Stück Gegenkultur. Im Radio lief Discomusik, die Bee Gees waren Superstars. Aus England schwappte der Punk in die USA, und in New York öffnete 1973 der innovative Rockschuppen CBGB. Aber New York war weit von Cleveland entfernt. Die Pere-Ubu-Aktivisten hatten keine Verbindungen zu anderen innovativen Kräften und konnten so ihren eigenen Weg gehen. Musiker waren die meisten von ihnen auch nicht, sondern Autodidakten mit dem Willen, einen Sound zu kreieren, der ihre Lebensumstände ausdrückte.

"The Modern Dance" hieß das Debütalbum von Pere Ubu, das 1978 erschienen ist. Die Songs sind rhythmisch pulsierend und schnell, die Band erzeugt einen schrägen Sound aus Klangsplittern und Bruchstücken, was mit den mäßigen instrumentellen Fähigkeiten der Mitglieder zu tun hat. Doch dieses Manko macht diesen eigenen Klang überhaupt erst möglich. David Thomas singt und schreit die Texte dazu mit einer hellen meckernden Stimme. Diese Musik wirkt wie ein nicht enden wollender Albtraum. Es ist die Sinfonie auf den Untergang einer Stadt und eines Landes, denn Amerika befand sich damals immer noch in einem verlustreichen Krieg in Vietnam. "Life Stinks" heißt einer der Songs, der Geruch von Verwesung wird durch diese musikalischen Schreckensvisionen spürbar.

"The Modern Dance" gilt heute als ein Meilenstein in der Geschichte des New Wave. "Annotated Modern Dance" hat David Thomas die aktuelle Pere-Ubu-Tournee genannt. Bei den Konzerten wird der ganze Songzyklus des Debütalbums gespielt, und es zeigt sich, wie modern und zeitgemäß diese gleichermaßen brachialen und filigranen Klänge heute immer noch sind.

Im Zentrum jedes Pere-Ubu-Auftritts steht der inzwischen fast 200 Kilogramm schwere, 1,90 Meter große Sänger. Seine Stimme knarzt und meckert wie vor mehr als 30 Jahren; um sie zu ölen, hat Thomas immer einen silbernen Flachmann dabei. Wenn er hinterm Mikro steht, schwitzt er wie ein Stahlkocher am Abstich, der das flüssige Roheisen aus dem Hochofen erwartet. Vielleicht ist es überflüssig zu erwähnen, dass dieser Mensch sehr gerne Bier trinkt.

In der langen Geschichte von Pere Ubu sind unzählige Mitglieder zur Band gekommen und haben sie wieder verlassen, Michele Temple und Robert Wheeler zum Beispiel sind seit den frühen 90er-Jahren dabei. Am Leben gehalten wird Pere Ubu von David Thomas, der mit einer steilen These aufwartet: "Wir sind die am längsten existierende und kommerziell desaströseste Truppe im Rock 'n' Roll." Stoppen kann sie niemand.

Pere Ubu heute, 21.00, Fabrik (S Altona); Barnerstraße 36, Karten 20,-; Internet: www.ubuprojex.net