Im Polittbüro kommt das Stück “Der Kick“ über den Mord an einem 16-Jährigen als szenische Lesung auf die Bühne - mit Gilla Cremer und Hans Löw.

Polittbüro. "Warum berichtet nicht mal jemand darüber, dass wir als schönstes Dorf ausgezeichnet worden sind?", fragt der Bürgermeister von Potzlow. Das Dorf in der Uckermark geriet 2002 jedoch nicht wegen seiner schönen Vorgärten in die Schlagzeilen, sondern weil dort drei junge Männer einen 16-Jährigen zu Tode quälten und die Leiche anschließend in einer Jauchegrube versenkten. Der Dokumentarfilmer Andres Veiel und die Dramaturgin Gesine Schmidt wollten genau hinsehen. Sie fuhren persönlich nach Potzlow, wo sie mehrere Monate recherchierten - entstanden ist daraus das Theaterstück "Der Kick", das 2005 am Maxim-Gorki-Theater und am Theater Basel aufgeführt wurde. Später dokumentierte Veiel die Inszenierung außerdem für das Kino.

Der Hamburger Publizist Thomas Ebermann hat sich jetzt dieser dramatischen Vorlage angenommen und wird Veiels Text als szenische Lesung heute Abend im Polittbüro erstmals auf die Bühne bringen. Er inszeniert den "Kick" mit sechs Schauspielern und einer Stimme aus dem Off, gesprochen von Robert Stadlober.

Veiel und Schmidt ging es nicht darum, einfache Erklärungen für einen grausamen Mord zu finden. Veiel nennt das, was er in dem 60 Kilometer von Berlin entfernten Dorf vorgefunden hat, ein "Ursachengestrüpp". 40-mal war er dort und hat mit Freunden und Eltern der Täter, mit der Mutter des Opfers, mit dem Bürgermeister, dem Pfarrer und den Einwohnern von Potzlow gesprochen, auch die Täter konnte er im Gefängnis befragen. Sieben Monate dauerte diese Spurensuche, 1500 Seiten umfasste am Ende das Protokoll dieser Recherche und die Verschriftlichung der aufgezeichneten Gespräche, in deren Verlauf die Leute von Potzlow ihn immer mehr an sich heranließen. Sie erzählen erst nur vom Leben in ihrem Dorf, doch dann immer mehr auch von der Arbeitslosigkeit, den fehlenden Perspektiven für junge Leute. Am Ende fügt Veiel seine Recherchen zu einem Theaterstück zusammen, er erzählt den Fall anhand der vielen Gespräche, die er geführt hat. Haupttäter ist demnach der 22 Jahre alte Marco Schönfeld. Er hat ein langes Vorstrafenregister, gilt als Neonazi und wird kurz vor dem Mord aus dem Gefängnis entlassen. Bei einem Dorffest wird er zusammengeschlagen. Wenig später schlägt er dann selbst einen Menschen zusammen, es ist Marinus Schöberl, ein stotternder 16-Jähriger, der ihm körperlich unterlegen ist. Schönfelds 17 Jahre alter Bruder Marcel ist bei der Tat dabei, er sagt Veiel, er habe Angst gehabt vor dem großen Bruder, weshalb er sich eine Glatze habe rasieren lassen - um auch äußerlich die Bindung zu dem älteren Bruder zu zeigen. Ein dritter Jugendlicher namens Sebastian ist ebenfalls an den Quälereien beteiligt. Das Trio foltert Schöberl stundenlang, springt ihm mit Stiefeln auf den Kopf, lässt ihn immer wieder den Satz "Ich bin ein Jude" sagten. Erst vier Monate später wird die Leiche entdeckt, die Polizei nimmt ihre Ermittlungen auf. Monatelang hatten Mitwisser und Zeugen der Tat geschwiegen.

Sechs Schauspieler hat Thomas Ebermann für die szenische Lesung gewinnen können. Prominentester Akteur ist Hans Löw. Nach Ende der Intendanz von Ulrich Khuon am Thalia-Theater vor zwei Jahren verließ Löw das Ensemble, um frei zu arbeiten. Seither hat der wichtige Thalia-Protagonist an verschiedenen Theatern gespielt - und eine ganze Reihe von Kino- und Fernsehrollen übernommen. Löw stellt den 17-jährigen Marcel Schönfeld dar, der in den Vernehmungen und Gesprächen auskunftsfreudiger ist als sein Bruder. Einen anderen großen Part in dieser szenischen Lesung übernimmt Gilla Cremer als Mutter der Schönfeld-Brüder. Sie und Wolfgang Hartmann als Vater der Mörder werden Sätze sagen wie "Unsere Kinder können keiner Fliege was zuleide tun". Andres Veiel hat betont, dass in der Textvorlage kein Wort von ihm sei, jeder Satz sei von den Befragten so gesagt worden. "Ich glaube, der Marinus war zur falschen Zeit am falschen Ort. Die wollten den Abend irgendeinen aufklatschen da, wie das heute so ist unter Jugendlichen", sagt an einer Stelle der Bürgermeister. Und ergänzt: "Potzlow ist ein ganz normales Dorf."

"Der Kick" heute 20.00, Polittbüro (U/S Hbf.); Steindamm 45; Eintritt 15,-/10,-; www.polittbuero.de