Von Sterbehilfe bis Zombiefilm: Der interdisziplinäre Kongress “Die Untoten“ öffnet auf Kampnagel. Drei Tage lang wird der Tod thematisiert.

Hamburg. Der Tod ist ein Tabu. Vitalität gilt als oberstes Funktionsprinzip in unserer Gesellschaft, die unproduktive letzte Lebensphase stört da eher. Aber: "Jeder kommt mit Sicherheit in die Situation, in der er sich die Frage stellt: Bin ich schon tot?" Mokant lächelnd formuliert Hannah Hurtzig das Anliegen des von ihr inszenierten Kongresses "Die Untoten". Heute Nachmittag - wohl nicht zufällig am "Tag des Pflegers" - ist um 17 Uhr die Eröffnung auf Kampnagel.

"In der dreitägigen Veranstaltung wollen wird das tabuisierte Thema Sterben öffentlich diskutieren, ein Forum für das Nachdenken über den juristisch, medizinisch und menschlich schwierig zu fassenden Zustand zwischen Leben und Tod bieten", sagt Hannah Hurtzig, die unvergessene Kampnagel-Gründungsintendantin (1985 bis 1990). Sie ist die Kuratorin des Kongresses; gemeinsam mit der wissenschaftlichen Leiterin Karin Harrasser und einem Beraterteam hat sie ihn als Projekt der Kulturstiftung des Bundes über eineinhalb Jahre hinweg realisiert - in Kooperation mit Kampnagel und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Was die Besucher in den kommenden drei Tagen in der Kulturfabrik erwartet, ist wirklich außerordentlich. Es beginnt bereits in der Eingangshalle. Auf einem Monitor tanzen lustig vier Skelette. Vom putzigen Pas de quatre der "Kleinen Schwäne" aus dem berühmten Tschaikowsky-Ballett sind nur noch die Knochen übrig geblieben. Die Gerippe schütteln Arme und Beine im Takt, hüpfen quicklebendig ihren Totentanz aus der Walt-Disney-Serie "Silly Symphonies". Nichts für Feiglinge. Populärkunst und Wissenschaft im Kongress miteinander zu konfrontieren und zu verbinden, ist Hurtzigs interdisziplinäres Konzept nach dem Motto: "Life Sciences & Pulp Fiction".

Denn meistens ist es ja so: Im Kino amüsiert man sich über die Untoten, genießt groteske Zombie-Horror-Filme, doch in der Realität fühlt man sich immer hilflos angesichts eines Menschen im Wachkoma. Wann ist ein Leben zu Ende? Und wer bestimmt darüber? Zu solchen Fragen und Problemen in der "Grauzone" des Übergangs vom Leben in den Tod vertreten die über 50 eingeladenen Referenten Positionen oder Thesen und diskutieren sie unter soziokulturellen, aber auch ganz praktischen und rechtlichen Aspekten.

"Wie tot ist hirntot?", fragt der Psychologe Roberto Rotondo. Ein Fachanwalt für Medizinrecht diskutiert das Problem der Sterbehilfe. Es gibt einen Vortrag über Palliativmedizin, die das Leiden von Sterbenskranken lindert; Pfarrerin Petra Bahr spricht "Über die Kunst des Sterbens".

Vor zehn Jahren hatte Hannah Hurtzig für die "Filiale zur Erinnerung auf Zeit" die Hamburger Kammerspiele vom Dachboden bis zum Keller in ein mediales Archiv zum Thema Drittes Reich verwandelt, in einen "sprechenden Erinnerungsort" mit Historikern, Künstlern und Zeitzeugen. In dieser interdisziplinären Form von Wissensvermittlung und Kunst - mit dem bewussten Kalkül einer möglichen Überforderung des Besuchers durch das großzügig geplante Programmangebot - inszeniert sie auch den Kongress über die "Untoten". Die im Jahr 2001 von ihr gegründete Mobile Akademie will Räume für den Wissenstransfer öffnen, in denen sich Theoretiker und Praktiker, Spezialisten und Laien begegnen. "Wissen soll auf Nichtwissen treffen, und Wissen, das auf eine noch nicht artikulierbare Weise vorhanden ist, sich vielleicht formulieren können."

Auf Kampnagel empfängt den Gast eine Art Filmset, eine Raum-Installation mit einem Labor, Krankenhauszimmer, Friedhofsektor und Kino. Die Sets sind in der weiträumigen Vorhalle aufgebaut - zugleich Bühne und Hörsaal. Hier halten die Fachautoren, Literaten, Mediziner, Kulturwissenschaftler, Philosophen und Psychologen ihre Vorträge. Die Künstlerinnen Zoe Laughlin und Marijs Boulogne zeigen Performances, Georg Seeßlen und Markus Metz das von ihnen kuratierte und moderierte Zombie-Film-Programm. Ein Headset mit acht Kanälen ermöglicht dem Zuhörer "Allgegenwärtigkeit", sodass er nach Lust und Laune zwischen den Lecture- und Spiel-Orten wählen und sich frei bewegen kann.

Während des Kongresses dreht der kanadische Regisseur Bruce LaBruce erste Szenen seines neuen Films "Ulrike's Brain". Der schwule Politpornograf hat bereits in seinem Film "Otto; or UpWith Dead People" (2007) einen Untoten herrlich trashig als Privatmann porträtiert. Nun arbeitet er an der Schnittstelle von Fiktion und wissenschaftlicher Untersuchung; er thematisiert das Verschwinden von Ulrike Meinhofs Gehirn und deren klinische Analyse, den Plot um verschwiegene Fakten und Visionen im Kontext wahrer Begebenheiten. Das Screening ist für alle Kongress-Besucher offen. Sie können sich auch bei den schon fertiggestellten Zombie-Filmen im Cinema oder im Alabama-Kino entspannen. Dort sind Victor Halperins "White Zombie", Herk Harveys "Carnival Of Souls", George A. Romeros legendärer Schocker "Night of The Living Dead" und "Otto" von Bruce LaBruce zu sehen.

Wer in der Flut der Informationen und vielen Eindrücke das Bedürfnis nach persönlicher Betreuung oder einer Aussprache unter vier Augen verspürt, für den hat die besorgte Kuratorin Hannah Hurtzig ebenfalls Hilfe parat: Jeder Besucher kann für den Obolus von einem Euro einen Gesprächspartner seiner Wahl 20 Minuten lang buchen. Bei der "Charismatischen Beratung" kann man dann hoffentlich seinen Stress, die "Angst", das "Begehren" oder die totale "Erschöpfung" loswerden - oder plötzlich doch noch Gevatter Tod gegenüberstehen. Alles ist möglich ab heute auf Kampnagel.