“Spiegel“-Redakteur René Pfister wurde der Henri-Nannen-Preis aberkannt. Wie sich die Jury in ihren eigenen Kategorien verhedderte.

Hamburg. Als gestern Morgen die Ressortleiter des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" zu ihrer täglichen Konferenz zusammenkamen, gab es fast nur ein Thema: die Aberkennung des Henri-Nannen-Preises in der Kategorie Reportage, den "Spiegel"-Redakteur René Pfister am Freitag verliehen bekommen hatte. Die Jury entschied sich am Montag für die Aberkennung, weil Pfister in seinem Stück die Modelleisenbahn des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer beschrieben hatte, die er selbst nie gesehen hat.

+++ "Spiegel"-Redakteur entgleist in Seehofers Hobbykeller +++

Die Entscheidung erboste die Ressortleiter sehr. Ihr Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron erzählte, dass er tags zuvor bei der Telefonkonferenz, die zur Aberkennung des Preises führte, aus preisgekrönten Stücken der Vorjahre zitiert hatte, die seiner Ansicht nach ebenfalls rekonstruierte Szenen enthalten. Es ging offenbar auch um Texte der "Zeit"-Redakteure Sabine Rückert und Stefan Willeke. Dem "Spiegel"-Chef war von anderen Juroren entgegnet worden, diese Autoren hätten ihre Rekonstruktionen als solche kenntlich gemacht. Zudem lägen die geschilderten Begebenheiten in der Vergangenheit. Pfister hätte sich dagegen Seehofers Modelleisenbahn jederzeit anschauen können. Dennoch ist man beim "Spiegel" sauer, wo man sich noch am späten Montagabend in einer Presseerklärung über die Jury-Entscheidung echauffierte - man könne nicht verstehen, hieß es da, warum Pfister der Preis aberkannt wurde. "Bei dieser Presseerklärung kann es nicht bleiben", sagt ein leitender Redakteur. "Wir halten den Vorgang für unerträglich."

Derweil wurde bekannt, dass in einer ersten Sondierungsrunde der Hauptjury nicht Pfisters Stück, sondern Susanne Leinemanns Reportage "Der Überfall" aus dem "Zeit-Magazin" vorne lag. Die Geschichte, in der die Autorin schildert, wie sie von Jugendlichen zusammengeschlagen wird, war von der Vorjury Sonderpreis an die Kategorie Reportage verwiesen worden. Nachdem das Stück dort zunächst reüssiert hatte, landete es dennoch wieder in der Kategorie Sonderpreis, wohl auch, wie mehrere Juroren erzählen, um Platz für andere Texte zu schaffen. Das ist insofern erstaunlich, als es sich laut eines Großteils der Jury beim Reportagejahrgang 2010 um einen eher schwachen handelt, die Kategorie Reportage als Königsdisziplin gilt und Leinemanns Geschichte wohl das mit Abstand stärkste Stück war.

Der Reportagepreis für die Autorin des "Zeit-Magazins" hätte die Jury auch davor bewahrt, Pfisters Text auszuzeichnen. Doch hätte ihm der Preis tatsächlich entzogen werden müssen? Schließlich behauptet er an keiner Stelle seines Textes, Seehofers Modelleisenbahn selbst gesehen zu haben. Der Gründer der Henri-Nannen-Journalistenschule, Wolf Schneider, der dieses Jahr mit dem Henri-Nannen-Preis für sein Lebenswerk geehrt wurde, sagt: "Ich finde diese Reaktion übertrieben." Pfisters Stück sei ein guter Text, der nur in der falschen Kategorie ausgezeichnet worden sei. Es handele sich bei ihm um ein Porträt und nicht um eine Reportage. Pfister nur deshalb den Preis zu entziehen, weil die Jury sich in der Kategorie vertan habe, hält Schneider für "überzogen". Müller von Blumencron, Frank Schirrmacher ("FAZ"), Peter-Matthias Gaede ("Geo") und Kurt Kister ("Süddeutsche Zeitung"), die gegen eine Aberkennung des Preises votierten, seien im Übrigen die Juroren mit der größten Reputation.