Der wichtigste Tag im Leben meiner Mutter ist der Muttertag. Schon Wochen vorher redet sie von nichts anderem. Ob wir es auch nicht vergessen würden, und was mit Geschenken sei, großen Geschenken? Wir nicken dann nur und sagen, alles sei vorbereitet.

Meist feiern wir in den Muttertag rein. Mutter lädt freitags zu Mutterraves, die dann bis zum Sonntag gehen, wenn außer ihr im Grunde kaum noch wer steht. Im ganzen Haus liegen dann erschöpfte, teils betrunkene Mütter herum, und es riecht nach saurer Milch und Damenschweiß, während meine Mutter, nicht totzukriegen, umherläuft und lauthals Mutterlieder singt.

Punkt Mitternacht dann lässt sie sich, ganz gleich, wo sie geht oder steht, fallen, und wir müssen sie von da an tragen. Mutter ist in den letzten Jahren immer mehr geworden, und es ist nicht ganz einfach, sie so, wie sie es verlangt, hoch oben über unseren Köpfen umherzutragen wie ein großes Mutterschiff - wir die Elbe, Mutter die große Fahrt. Im Haus wäre es vielleicht noch gegangen, doch meist müssen wir mit ihr bis zur Alster, rum und zurück, während sie Mutterschlachtrufe skandiert.

Ansonsten tut sie am Muttertag nichts. Lässt sich füttern, waschen, umziehen. Sie ruft: "Hunger", und wir haben Hack zu braten. Oder: "Bluse an". "Bauch waschen", oder einfach nur: "Groß." Sie hat sich sogar goldene Muttertagsbettpfannen anfertigen lassen, mit ihrem Namen darauf, Mutter, die ansonsten in der Vitrine im Wohnzimmer stehen.

Wir könnten das nicht verstehen, aber als Mutter sei man ständig Mutter. Selbst in ihren Träumen sei sie Mutter. Beim Anblick kleiner Menschen. Wenn Eier im Fernsehen gezeigt würden. Muttertag ist der einzige Tage, an dem eine Mutter kurz mal aufhören kann, Mutter zu sein. Selbst bemuttert wird. Und für einen Tag sei das wirklich ganz schön - aber sie verstehe nicht, wie wir das unser ganzes Leben aushalten könnten.