Siri Hustvedts “Der Sommer ohne Männer“ erzählt die uralte Geschichte vom Ehebruch erhellend neu und klug. Ihr Roman ist ein filigranes Geflecht.

Er brauche eine Pause, behauptet Boris nach 30 Ehejahren mit Mia. Als sich herausstellt, dass Pause seine Kollegin ist, Französin und natürlich 20 Jahre jünger als Mia, mit einem "signifikanten Busen", einer schmalen Rechteckbrille und "exzellentem Verstand", dreht Mia durch. Jedenfalls zunächst.

Auf dem Tableau dieser uralten Geschichte vom Ehebruch entfaltet die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt in ihrem Roman "Der Sommer ohne Männer" ein filigranes Geflecht aus Überlegungen und Beobachtungen, Betrachtungen und Selbsterkundungen, aus Streifzügen durch Literatur und Wissenschaft zum Thema Männer und Frauen.

Doch erst einmal tobt Mia: "Die Banalität der Geschichte ... dämpft nicht das Elend, die Eifersucht und die Demütigung, die die Verlassenen überkommt. Betrogene Frauen. Ich heulte und schrie und schlug mit der Faust gegen die Wand." Und so landet die Lyrikerin Mia mit einer vorübergehenden psychotischen Störung in der Psychiatrie. Nach einer Woche wird sie entlassen, und Mia beschließt, fürs Erste auch sich selbst eine Pause zu verordnen und von Brooklyn in ihre Heimatstadt nach Minnesota zu fahren. "Es sollte die Auszeit zwischen einem durchgeknallten Winter und einem geistig gesunden Herbst sein. Ich würde Zeit mit meiner Mutter verbringen und Blumen auf das Grab meines Vaters legen."

Mia quartiert sich in einem kleinen Mietshäuschen ein, übernimmt einen Poesiekursus für Jugendliche und kümmert sich um ihre hochbetagte, aber höchst agile Mutter. Natürlich leckt sie ihre Wunden, aber streckt auch vorsichtig die Fühler aus und macht dabei die überraschende Entdeckung, dass dieses neue Leben vom eigenen Schmerz ablenkt. Da sind die Freundinnen der Mutter, "die fünf Schwäne" genannt, Witwen allesamt und eigenwillige Persönlichkeiten. In der Nachbarschaft stößt Mia auf die junge Mutter zweier Kleinkinder, die schließlich alle drei Schutz bei ihr suchen. Und dann sind da noch die sieben Mädchen, giggelnde und gehässige Teenager mit "vagen und vermutlich sentimentalen Fantasien über das Schreiben von Versen". Mias Schwester Bea kommt zu Besuch, und mit ihrer Tochter Daisy, einer Schauspielerin, pflegt Mia liebevollen E-Mail-Kontakt. Ein mysteriöser Mr. Niemand schickt hin und wieder kluge Kommentare. Ihr Leben nimmt neue Formen an und gestaltet sich gar nicht so schlecht ohne Ehemann, ohne diesen untreuen Boris, den weltberühmten Neurowissenschaftler.

Und so gelingt es Mia zunehmend, sich selbst mit einiger Distanz wahrzunehmen, ihre Lage aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und Neues an sich selbst zu entdecken. In diesem Sommer ohne Männer, in dem jene Spezies zwar körperlich abwesend ist, freilich dennoch in den Köpfen der auftretenden Frauen herumspukt, öffnet sich für Mia eine ungeahnte Perspektive auf sich selbst, eine Erleuchtung vielleicht gar, die Heilung birgt. Jedenfalls kann sie schließlich, als Boris geduckt, kleinlaut und reumütig um Vergebung bittet, mit der Haltung einer gewährenden Königin antworten: "Mach mir den Hof." Er tut es - freilich auf seine Weise. Währenddessen löst eine neue Erkenntnis bei Mia geradezu einen Schock aus: "Ein Teil von mir war dabei, sich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass Boris für immer weg war."

Nachdem Siri Hustvedts letztes Buch "Die zitternde Frau", in dem sie ihrer eigenen neurologischen Krankheit auf der Spur war, vermutlich für die Autorin wichtiger war als für ihre Leserschaft, so ist sie mit "Der Sommer ohne Männer" wieder in die erste Liga der amerikanischen Literatur zurückgekehrt. Mit ihrer Ich-Erzählerin Mia hat die Schriftstellerin mit norwegischen Wurzeln eine wunderbare und ebenso intelligente wie warmherzige Frauenfigur geschaffen.

Mia erlaubt es ihr, blitzgescheite und aufmüpfige Gedanken über das Leben als Frau zu formulieren, die alltäglichen Schwierigkeiten eines altgedienten Ehepaars zu erörtern, über das Alter und über die Jugend zu räsonieren, über Mütter und Töchter und ebenso über Väter nachzudenken. Kurz gesagt: Die amerikanische Schriftstellerin, Jahrgang 1955, die uns schon so wunderbare Romane wie "Was ich liebte" oder "Die unsichtbare Frau" lieferte, hat einmal mehr einen hellsichtigen, klugen und unterhaltsamen Roman geschrieben über nichts Geringeres als das Leben mit all seinen Unwägbarkeiten, all seinen Katastrophen - und auch seinen Herrlichkeiten.

Siri Hustvedt liest am 9. Mai um 20 Uhr im Thalia-Theater, Alstertor. Die Veranstaltung, eine Kooperation vom Literaturhaus Hamburg, dem Thalia-Theater und NDR Info & NDR Kultur, ist ausverkauft

Siri Hustvedt: "Der Sommer ohne Männer" . Aus dem Englischen von Uli Aumüller. Rowohlt Verlag, 251 Seiten, 19,95 Euro